Nostalgiker (3): Gerald Matt übers Krawattentragen

Heute bedeutet die Krawatte eine Absage an die mittlerweile totalitäre Freizeit- und Bequemlichkeitsgesellschaft. (…) Die Leute haben vergessen, wie man sich respektvoll kleidet. Alles ist heute banal zweckmäßig, man soll ein gut funktionierender Teil dieser Effizienzgesellschaft werden. Das lernt man heute schon in der Schule, wo statt Thomas Manns "Zauberberg" Bewerbungsschreiben Abiturthemen sind. Was zu diesem "Zweckfetischismus" am wenigsten passt: die Krawatte. Viele Wirtschaftsbosse und Politiker, die früher eher zugeknöpft unterwegs waren, erlebt man heute scheinbar locker und befreit vom Krawattenzwang. Das ist eine Lebenslüge. Mein Onkel hat, wenn er von der Bank nach Hause kam, immer die Krawatte abgelegt, das war für ihn der Beginn der "großen Freiheit". Ich habe ihm dann gesagt: Wenn du frei sein willst, muss du bei der Bank kündigen.

(Quel­le: SZ)