Türkei, Terror, TW-Testclub… aus all der nachrichtlichen Tristesse ragt diese Woche der Quartalsbericht von Zalando: Der Umsatz ist mit 25 Prozent stärker gewachsen als erwartet, die Gewinnprognose für 2016 wurde auf 4 bis 5,5 Prozent angehoben. Die Börse reagierte mit einem Kursfeuerwerk. Die Aktie schnellte am Montag um 20 Prozent nach oben, wo sie sich bis heute hält. Mit 8 Milliarden Euro ist Zalando jetzt mehr wert als Hugo Boss, Puma, Esprit und Tom Tailor zusammen. Nur Amazon hat noch etwas Vorsprung (317 Milliarden Marktkapitalisierung). Aber man braucht ja noch Ziele.
Zalando wird seinen Umsatz in nur drei Jahren auf über 3,6 Mrd. Euro mehr als verdoppeln. Rund die Hälfte entfällt auf die DACH-Region. In gerade mal 8 Jahren ist Zalando damit von Null in die Top 10 der deutschen Textilhändler aufgestiegen. P&C wird man dieses Jahr vermutlich überholen, und wenn die Wachstumsdynamik anhält, sind auch C&A und H&M nicht außer Reichweite.
Zalandos Erfolgsstory straft all die Unkenrufer Lügen, die in dem Unternehmen eine mit Milliardenspielgeld aufgepumpte Eintagsfliege sahen. Ein Kartenhaus, das irgendwann unter einem gewaltigen Schuldenberg zusammenbrechen würde. Spätestens dann, wenn das Internet wieder wegginge. Ehrbare Kaufleute tun sich schwer mit dem Gedanken, dass es in der Internetökonomie auf Verluste nicht ankommt, solange genug Kapital die Wachstumsstory stützt. Wenn in Berlin nach traditionellen kaufmännischen Maßstäben gewirtschaftet worden wäre, stünde Zalando jedenfalls nicht da, wo es heute ist. Stattdessen wurden mit Speed und Macht Marktanteile gekauft, die sich später versilbern lassen. Das ist jedenfalls die Hoffnung. Jeff Bezos macht das mit Amazon bis heute so. Im Internet wird eben nicht nur Ware verkauft, sondern zugleich der Traum vom ganz großen Reibach. Vor dem Börsengang musste Oliver Samwer dafür lediglich ein paar milliardenschwere Investoren beschwatzen. Seit dem Going Public kommt es erst recht auf ein geschicktes Erwartungsmanagement und das Aufrechterhalten der Wachstumsphantasien an.
Die große Vision hat Zalandos Deutschland-Chef Moritz Hau beim TW-Forum umrissen. „Wir wollen das Betriebssystem der Mode sein.“ Womöglich konnten diejenigen unter den Anwesenden, die ihre Mails nach wie vor von der Sekretärin ausdrucken lassen, damit nicht so recht etwas anfangen. Während manche noch immer überlegen, ob sie auch einen Online-Shop eröffnen sollen, und die anderen sich in Omnichannel-Arbeitskreisen die Köpfe heiss diskutieren, sind die Digital Natives aus Berlin dabei, sich vom Marktteilnehmer zum Marktanbieter zu entwickeln. Zalando soll nicht nur Online-Kaufhaus bleiben, sondern die Infrastruktur für alle werden, die im Internet und darüber hinaus mit Mode handeln wollen.
So positioniert sich Zalando als Marktplatz, der den Zugang zu den Kunden hat, bietet Markenpartnern Shop-Lösungen vom bloßen Schaufenster bis hin zum kompletten Fullfilment, umwirbt dabei selbst Zara und H&M (warum auch nicht – Gap und Topshop sind schon da). Quasi im Vorübergehen übernimmt man die Bread & Butter, bekanntlich ein sehr analoger Marktplatz, der jetzt zum Omnichannel-Event umgebaut wird. Vor allem investiert man massiv in Technologien und Logistik, stellt Hunderte Entwickler in Berlin und den beiden Tech-Hubs in Dublin und Helsinki ein, implementiert Mobile-Applikationen und Services wie Fleek, Movmnt, Zipcard und Zalon, investiert in Marktplatztechnologieanbieter wie Tradebyte und Anatwine und B2B-Plattformen wie Le New Black, kauft Anbieter wie nugg.ad und metrigo zur besseren Mediaaussteuerung, testet mit Adidas die logistische Vernetzung von Online und Stationär.
Für nicht wenige Brands ist Zalando heute schon einer der größten Kunden. Ein Partner, der sich größte Mühe gibt, diese Markenpartner in sein Ökosystem einzubinden. Das birgt sicher große Chancen, aber auch Risiken. Die Abhängigkeit wird sich anders als bei anderen Großkunden nicht nur an Volumina festmachen, auf die man schwerlich verzichten kann, sondern auch die Kommunikation zum Kunden beeinflussen und organisatorische Prozesse umfassen. Als börsennotiertes Unternehmen wird Zalando langfristig nicht darauf verzichten können, aus dieser Abhängigkeit seine Vorteile zu ziehen.
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