Dass Raf Simons nun tatsächlich bei Dior einsteigt, hat niemanden mehr überrascht. Die Gerüchte waberten seit Monaten durch die Szene. Eigentlich war die offizielle Bekanntgabe schon für die Pariser Schauen erwartet worden. Doch da beherrschten Hedi Slimane und Yves Saint Laurent die Schlagzeilen. Viele Zeitungen war die Dior-Nachricht dennoch einen Mehrspalter wert. Gleich neben dem Geschäftsbericht von Jil Sander übrigens. Die ehemalige Wirkungsstätte von Simons steckt trotz eines 5,1%igen Umsatzzuwachses nach wie vor in den roten Zahlen: die japanische Onward-Gruppe verbuchte bei ca. 93 Mill. Euro Umsatz einen Verlust 5,7 Mill. Euro. Der ist Simons nicht allein anzulasten. Aber es wirkt trotzdem wie ein schlechtes Arbeitszeugnis. Da zeigte die Dior-PR kein gutes Timing.
+++++
Gestern blies H&M zur Nachhaltigkeitsoffensive. Die Schweden stellten ihren aktuellen Sustainability Report online. Zeitgleich wurde die neue Concious Collection aus nachhaltiger Produktion gelauncht. Und ab dem 26. April kommt die „Fashion against Aids“-Kollektion in die Läden, bei der ein Viertel der Erlöse an die Aids-Vorsorge gehen.
„Can H&M really claim to be ethical?“ fragte Lucy Siegle vor ein paar Tagen im Guardian. Die Schweden hatten die bekannte britische Umwelt-Journalistin und Fast Fashion-Kritikerin offenbar zu einer Vorab-Präsentation des Nachhaltigkeitsberichts eingeladen. Es hat nur bedingt funktioniert. Ihr Fazit: "Ein Geschäftsmodell, das darauf basiert, Millionen-Stückzahlen zu produzieren und 30 bis 50 Saisons im Jahr propagiert kann kein Rezept für Nachhaltigkeit sein. Ist nachhaltige Fast Fashion also nicht ein dicker, fetter Widerspruch ins sich?"
"Die Frage ist, wie wir Mode nachhaltiger machen können", lässt Siegle die H&M‑Nachhaltigkeitsbeauftragte Helena Helmersson zu Wort kommen. Aha! Es geht also um Optimierung, nicht um die Maximierung von Sozial- und Umweltstandards. Andernfalls müsste H+M (und mit den Schweden so gut wie alle anderen Modehändler) den Laden sofort dichtmachen.
Mit Helmerson lassen die Schweden nebenbei bemerkt eine ausgesprochen attraktive Mitarbeiterin über diese potenziell schmutzige Themen reden. Nachhaltigkeit ist sexy, soll wohl die unterschwellige Botschaft sein. Das mag ein wenig bös klingen, aber mindestens so wichtig, wie Missstände in der Produktion und negative Auswirkungen auf die Umwelt zu beseitigen, ist es, darüber zu reden. Da dürften die meisten Konsumenten lieber den YouTube-Clip mit der schönen Helena gucken, die einem ein gutes Gefühl gibt, als sich durch die 89 Seiten des Sustainability Reports 2011 zu quälen. Dort erfährt man unter anderem, dass H&M in Bangladesch 442.000 Arbeiter über ihre Rechte aufgeklärt hat, dass für die Produktion von H&M‑Klamotten 9,2 Millionen Plastikflaschen verwendet wurden oder dass 2,4 Millionen Paar Schuhe mit Klebstoffen auf Wasserbasis verkauft wurden. Das mag alles richtig und notwendig sein, an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen ist nicht zu zweifeln, und die Daten zusammenzutragen ist sicher harte Arbeit. Aber manchmal hat man schon das Gefühl, dass die vielen Zahlen in Nachhaltigkeitsberichten in erster Linie Beruhigungspillen sind.
Bitte lesen Sie dazu auch: Der H&M‑Markencheck. Und was die Bionadisierung fürs Modebusiness bedeutet.
+++++
Niemand zweifelt daran, dass Brunello Cucinelli nachhaltig arbeitet. Der italienische Kaschmir-König produziert seine Pullover in dem kleinen Dorf Solomeo in Umbrien. In der Gegend ist Cucinelli aufgewachsen, dort hat er 1978 seine Firma gegründet die heute über 500 Menschen beschäftigt. Produziert wird vor Ort. Einen nicht geringen Teil seines Vermögens hat der Mann in die Restaurierung des pitoresken Fleckens gesteckt. Dafür wurde der Unternehmer vielfach ausgezeichnet, u.a. vor zwei Jahren mit dem Forum-Preis der TextilWirtschaft.
Und ausgerechnet dieser Brunello Cucinelli geht nun an die Börse. Dass der IPO erfolgreich sein wird, davon ist auszugehen. Das eigentliche Experiment beginnt danach: Wie wird sich das Unternehmen verändern, wenn Cucinelli nicht mehr alleiniger Herr im Hause ist? Wie vertragen sich lokale Verwurzelung und globale Profitinteressen? Wie sind ethische Grundsätze und soziale Verantwortung mit dem Shareholder Value-Gedanken in Übereinstimmung zu bringen? Wer behält die Oberhand: Qualitäts-Fetischisten oder Optimierer? Statt sich über Kultur und Philosophie auszulassen, wird man Cucinelli künftig auch zu schnöden Themen wie Expansionsplänen und Eigenkapitalrendite vernehmen. Warum tut er sich und seinem tollen Unternehmen das an?
Auch wenn der bald 59jährige eine Nachfolgelösung im Sinn haben mag – irgendwie wird er seinem Lebenswerk mit dem Börsengang untreu.
+++++
Apropos Kapital. Der Karstadt-Betriebsrat beschwert sich zum wiederholten Mal, dass Inhaber Nicolas Berggruen kein Geld in die Hand nehmen mag, um seinem Ruf als Karstadt-Retter nachzukommen. Lieber steckt er 1,4 Milliarden Dollar in Burger King. Dass die Karstadt-Mitarbeiter das irritiert, kann man verstehen.
Derweil kursiert mal wieder eine Studie, die die Überlebenschancen der deutschen Warenhäuser analysiert: Danach haben 93 der 196 Kaufhof- und Karstadt-Filialen keine Zukunftsperspektive. Der Autor Gerd Hessert, selbst lange Jahre im Warenhausgeschäft, sieht den deutlich höheren Verändungsbedarf bei Kaufhof. Gehen wir mal nicht davon aus, dass diese Einschätzung damit zusammenhängt, dass er selbst für Hertie und Karstadt gearbeitet hat. Weitere Details dazu in der Immobilienzeitung.
******
Wenn Sie keine Profashionals-Beiträge verpassen wollen, empfehle ich Ihnen, ein Update einzurichten. Einfach rechts oben E‑Mail-Adresse eingeben, „Jetzt abonnieren“ anklicken und kurz bestätigen.