Bis vor kurzem wusste der Handel nicht wohin mit der Ware. Jetzt weiß er nicht mehr, woher er sie nehmen soll. Die Pandemie mag hierzulande abschwellen, aber die Corona-Krise ist lange nicht vorbei. Lieferprobleme in nie gekanntem Ausmaß belasten das Geschäft – Lockdowns in wichtigen Produktionsländern wie Vietnam, Hafenschließungen in China, Engpässe und Verspätungen in der Logistik, massiv gestiegene Containerpreise. Dazu kommen extreme Preisanstiege bei Energie und Rohstoffen. Dass die Inflation seit einigen Monaten nach oben schnellt, ist ungut für das Bekleidungsbusiness. Denn wenn die allgemeine Lebenshaltung teurer wird, bleibt weniger Geld für schöne, aber nicht lebensnotwendige Sachen wie die Mode. Dass der Preisanstieg für Bekleidung mit zuletzt 3% hinter der Inflationsrate von 4,1% zurückblieb, ist ein Indiz, dass der Wettbewerb eigentlich notwendige Preiserhöhungen nicht mal eben so zulässt.
Das wird insbesondere für alle ein Problem, deren USP der Preis ist, also für das Discount-Segment. Aber auch den Multilabel-Fachhandel trifft die Entwicklung, wenn bestellte Ware nicht im Laden ankommt. Nichts hassen Kaufleute mehr als entgangene Umsätze. Dass im Lockdown viele Einzelhändler ihre Vororder in der Erwartung kurzfristiger Nachordermöglichkeiten heruntergeschraubt haben, verstärkt das Problem. Nach den Covid-Katastrophenmonaten braucht es jetzt jeden Euro in der Kasse.
Andererseits sind vielerorts immer noch die Keller voll mit Altware. So bietet sich jetzt für manchen Händler die Chance, LUG und Kapitalbindung zu optimieren. „Wenn ein Dicker mal drei Tage nix zu essen bekommt, tut ihm das auch ganz gut“, meinte neulich ein Gesprächspartner etwas zynisch. Und wenn Winterjacken erst ankommen, wenn es wirklich kalt ist, kommen wir einem „normalen“ Saisonrhythmus womöglich näher.
Doch im Ernst: Paradoxerweise trifft die Lieferkettenstörung diejenigen besonders, die ihre Supply Chain für gewöhnlich gut im Griff haben, also die Vertikalen. Und natürlich gibt es riesige Unterschiede in den Categories. Groß sind die Engpässe bei Outdoor und im Sportsegment. Weil Vietnam in weiten Teilen ausfällt, ist die Schuhindustrie besonders hart getroffen. Gravierender noch als für Retailer ist die Situation für die Wholesaler. Im Frühjahr musste die Industrie mit weniger Vororders klarkommen, jetzt sorgen die Lieferverzögerungen dafür, dass erst später fakturiert werden kann. Oder gar nicht, weil mancher großer Handelskunde die Ware zur Unzeit nicht mehr annehmen wird wollen. Das könnte dazu führen, dass der Preisverhau in den betroffenen Categories besonders dramatisch wird.
Über kurz oder lang wird der Markt wieder ins Gleichgewicht kommen. Bis dahin werden die Unternehmen zusätzliche Sicherheitspuffer einbauen und früher mit ihren Planungen starten. Das läuft der Verkürzung von Leadtimes, wie sie überall auf der Agenda steht, zuwider und wird die Digitalisierung von Produktentwicklungs- und Beschaffungsprozessen umso dringlicher erscheinen lassen. Manche reden bereits von einem Rückzug der Produktion aus Asien. Insbesondere die große Abhängigkeit von China erscheint manchem angesichts der zunehmenden staatlichen Eingriffe dort und der sich anbahnenden weltpolitischen Konflikte als ungesund.
Ein Rückbau der Globalisierung, die von der Textil- und Bekleidungsindustrie vor Jahrzehnten ja maßgeblich vorangetrieben wurde, ist trotzdem unrealistisch. Kurz- und mittelfristig werden nähere Produktionsstandorte – die Türkei, Portugal – sicher profitieren. Vor allem aber wird es zu einem anderen Sourcing-Mix kommen. Bei der Platzierung von Produktionsaufträgen ist der niedrigste Preis allein nicht mehr maßgeblich. Auch Nachhaltigkeit wird als Kriterium zunehmend wichtig. Und mehr denn je dürften jetzt auch Liefersicherheit und Risikostreuung relevante Faktoren sein.
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Und sonst?
…taxiert die TW die Zalando-Gründer auf 1,16 Milliarden Euro, 1,03 Milliarden ist allein ihre 5,17% Beteiligung an Zalando wert. Damit haben David Schneider und Robert Gentz, glaubt man dem Manager-Magazin, sogar Familie Cloppenburg überholt, die dann doch ein paar Jahre länger im Geschäft ist. Vor wenigen Wochen war das Aktienpaket übrigens noch ein gutes Drittel mehr wert. Dieser Kursverfall ist nicht schön. Aber werden die beiden sich jetzt wirklich ärmer fühlen?
…verpackten die Händler auf dem Wuzhong-Markt in Shanghai vergangene Woche ihr Gemüse mit Papier und Tüten im Prada-Design. Die Guerilla-Marketing-Aktion der italienischen Modemarke (#feelslikeprada) rief in Social Media gemischte Reaktionen hervor: "Es ist das Einzige von Prada, das ich mir leisten kann."
…beschäftigte sich die Wissenschaftsredaktion der SZ mit der Kulturgeschichte der Kleidung (Paywall). Bereits vor 100.000 Jahren fertigten die Menschen Kleidungsstücke an, um sich zu schützen und – daran hat sich bis heute nichts geändert – um sich zu schmücken. „Wir sind die einzige Spezies, die in der Lage war, Kommunikationstechnologien zu entwickeln, die mit dem Körper verknüpft sind, um eine Vielzahl von Informationen über uns und unsere Fähigkeiten zu übermitteln“, zitiert der SZ-Autor den Archäologen Francesco d’Errico. Was die IT heute macht, beherrscht die Modeindustrie demnach schon lange.
…flog Captain Kirk ins All, zum ersten Mal nach 90 Jahren. "Beam me up, Jeff!"