Passiert large

Was kommt als Nächstes? Kunden im Borat-Badeanzug?

Jürgen Müller

Es fällt schwer, diese Woche nicht die US-Wahlen zu thematisieren. Bei aller perversen Faszination, die von dem unwürdigen und abstoßenden Stil des Amtsinhabers ausgeht, kann es uns in Deutschland nicht egal sein, welche Politik die USA betreiben. Multilateralismus, ein geregelter Welthandel und offene Märkte sind im Interesse unserer Wirtschaft, der Arbeitsplätze und damit auch der Konsumkonjunktur, von der wir alle abhängen.

Trotzdem konnte das Wahltheater in Übersee lediglich für kurze Zeit das andere große Thema verdrängen, das hierzulande akut ist: Die Corona-Infiziertenzahlen steigen vorerst weiter. Heute Früh lagen wir bei über 21.000 Neuansteckungen. Seit Montag sind die Wellenbrecher-Maßnahmen in Kraft. Der Teil-Lockdown verschont zwar den Einzelhandel. Mit der Gastronomie fällt aber ein Frequenzbringer aus, und für die Kaufstimmung ist die Ansteckungsangst alles andere als zuträglich. Allein die Ankündigung neuer Kontaktbeschränkungen reichte aus, um die Umsätze in der vergangenen Woche einbrechen zu lassen, laut TW um durchschnittlich 20 Prozent. So mancher Ladenbetreiber wäre möglicherweise froh, wenn er im November schließen müsste und 75 Prozent seines Vorjahresumsatzes von der Regierung überwiesen bekäme.

Interessant ist, wie manche Player die Situation nutzen. Zum Beispiel Galeria Karstadt Kaufhof. Der Warenhauskonzern hat sich im abgeschlossenen Sanierungsverfahren auf Kosten der Gläubiger seiner Schulden entledigt und investiert jetzt in eine breit angelegte, unüblich frühe Rabattaktion. Ob ein 20%-Preisnachlass unter Corona-Bedingungen wirklich zieht? Auch Esprit hat sich unter dem Schutzschirm von Schulden, Altlasten und Mietverträgen befreit und versucht jetzt den Wiederaufstieg. Wird die Neupositionierung inklusive höherer Preise verfangen? Den Ratingern zupass kommt ihr äußerst starkes Online-Business, das für bald ein Drittel des Umsatzes steht.

E‑Commerce boomt, weshalb Zalando von Rekord zu Rekord eilt. Die Quartalszahlen diese Woche lagen erneut über den Erwartungen. Das Unternehmen schüttet nicht nur 500 Euro Prämie an jeden seiner 14.000 Beschäftigten aus, sondern verzichtet bis März auch auf die Umsatzprovisionen aus dem Connected Retail-Programm. Die 2000 angeschlossenen Händler wird’s freuen. Aus Sicht von Zalando ist das gut investiertes Geld. Denn die Aktion wird dem Netzwerk weiteren Zulauf bringen. So wirkt Corona wie ein Konjunkturprogramm für Online.

Supermärkte und Discounter haben es derzeit wohl am besten. Der Absatz von Klopapier hat sich in den letzten beiden Oktoberwochen nach Angaben des Statistischen Bundesamts um 139 Prozent und 84 Prozent erhöht. Dafür schlagen sich die Marktbetreiber mit anderen Problemen herum. Personen mit Morgenmantel oder Schlafanzug haben keinen Zutritt zu unserem Laden!!!, plakatierte vergangene Woche ein Supermarkt in Duisburg-Ruhrort. Eine Mutter war im gepunkteten pinkfarbenen Morgenmantel und Puschen im Laden aufgekreuzt, ihre Tochter ebenfalls noch im Schlafanzug. „So was möchte ich in meinem Markt nicht haben“, so der Filialleiter gegenüber der SZ. „Kein Kunde möchte doch, dass ein anderer vor ihm mit der Kleidung, in der er auch schläft, Ware berührt, die dann noch verkauft wird. Ich meine, was kommt da als Nächstes? Kunden im Borat-Badeanzug, der gerade so die Genitalien bedeckt?“

In den USA ist so eine weitgehende Casualisierung nicht unüblich (siehe peopleofwalmart). Aber dort scheinen die Regeln des Anstands ja selbst an oberster Stelle nicht mehr zu gelten.