Es ist auf den ersten Blick paradox: Da meldet Zalando ein Wachstum von 23% und verkündet im selben Moment Stellenstreichungen – 250 Marketing-Mitarbeiter verlieren ihren Job. Unerhört in einem Unternehmen, wo die Mitarbeiter ein Engpassfaktor fürs geplante Wachstum sind. Die Berliner sind in bester Gesellschaft. Auch Amazon baut nach Medienberichten aktuell in den USA Hunderte Stellen im Bereich Consumer Retail ab. Und dafür Tausende im Bereich Artificial Intelligence auf.
Was für die gekündigten Mitarbeiter ein harter Schlag ist, ist aus Unternehmenssicht in beiden Fällen eher eine Randnotiz: Zalando hat aktuell über 600 Stellen neu zu besetzen und will insgesamt 2000 neue Arbeitsplätze schaffen; das zehn Jahre alte Unternehmen gehört mit seinen derzeit 15.000 Mitarbeitern zu den größten Arbeitgebern in Berlin. Amazon hat 2017 knapp 130.000 Stellen angebaut; weltweit beschäftigt der US-Gigant inzwischen mehr als 560.000 Mitarbeiter.
Die Gefeuerten reagierten mit Wut und Sarkasmus. Im Netz machen Adbusters von Zalandos aktueller „Me. Unlimited.“-Kampagne die Runde: „Me. Unemployed.“ Sie müssen sich indes nicht wirklich Sorgen machen. Outfittery-Mitgründerin Julia Bösch verlinkte in LinkedIn gleich auf die Job-Angebote ihres Unternehmens („We are hiring!“). Und auch Stefan Wenzel setzte einen entsprechenden Post für Tom Tailor ab.
Und das ist das eigentlich Bemerkenswerte: Während die meisten Unternehmen sich noch die Finger schlecken nach kompetenten Online Marketing-Profis, ist Zalando einen Schritt weiter – und automatisiert sein CRM. Algorithmen sollen künftig die Ansprache der Kunden steuern und diesen auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Angebote und personalisierte Empfehlungen machen. Jeder soll quasi seinen eigenen Shop bekommen. Die Daten von 22 Millionen Käufern und über 200 Millionen monatliche Zugriffe auf die Zalando-Site machen es möglich. Mit jedem Klick lernt der Online Retailer seine Konsumenten besser kennen und sich auf sie einzustellen. Leute, die Mails verschicken, braucht es dafür nicht mehr. Aber sehr wohl Datenanalysten, BI-Experten und KI-Fachleute. Zumindest wenn es um den Performance-Part geht, die konkrete Abverkaufsförderung. Die Kreation von Inhalten und Marken-Botschaften, das Brand Building wird künstliche Intelligenz – wenn überhaupt – nicht so schnell übernehmen können. Big Data kann gleichwohl auch hier ein nützliches Tool sein, wenn es darum geht, die Kunden besser zu verstehen.
In der KI-gestützten Kundenansprache liegt ein riesiger Wettbewerbsvorteil des Online-Handels gegenüber dem stationären Geschäft. Zu Zeiten von Tante Emma war das alles noch kein Thema; da kannte Emma ihre Pappenheimer persönlich und stellte sich im Einkauf und in der Kundenansprache auf sie ein. In dem Maße, wie der Handel die Filialisierung vorangetrieben hat, ging diese Kundenbindung verloren bzw. musste teuer über den Marketingetat erkauft werden. Die Katalogversender, die in Deutschland traditionell stark waren, hatten früher schon mehr Kundendaten als die Stationären. Aber es fehlte ihnen das interaktive Medium und die Technologie, Big Data wirklich nutzbar zu machen. Unter anderem deswegen sind sie über einen bestimmten Marktanteil auch nie hinausgekommen. Zalando und Amazon sind nun dabei, Tante Emma in gewisser Weise digital wiederzubeleben. Und Emma weiß mehr denn je! Otto & Co. setzt dies genauso unter Zugzwang wie die Stationären. Letztere werden den Kampf um die Kundendaten verlieren, wenn es ihnen nicht gelingt, ein relevantes Online Business aufzubauen und das darüber gewonnene Wissen für alle Kanäle zu nutzen. Das dazu notwendige Know how aufzubauen, erfordert Invests, die nur die Großen und Kapitalstarken stemmen können.
Wo bleiben in diesem Szenario die traditionellen Fachhändler? Deren Vorteil ist, dass sie eben keine Website sind. Statt auf künstliche Intelligenz zu setzen, können sie emotionale Intelligenz nutzen. Und mit ihren Läden Begegnungen zwischen Menschen ermöglichen. Es kommt daher – neben vielen anderen Faktoren – mehr noch als bisher auf die Qualität der Mitarbeiter an. Das gelingt in übersichtlichen lokalen Organisationen mit Sicherheit leichter als in Filialsystemen. Letztere müssen andere Antworten finden. Im Übrigen gilt es, alle verfügbaren und sinnvollen Instrumente zu nutzen, die die Digitalisierung bietet und noch bieten wird.
Man darf sich dennoch nichts vormachen. In vielen Fällen werden die Konsumenten die bequeme und oft preisgünstigere Bestellmöglichkeit im Web vorziehen. Der Markt verteilt sich zurzeit in gewaltigem Tempo neu. Jeder muss eine eigene Antwort auf diese Herausforderung finden. Es gilt – um ausnahmsweise mal eine Plattitüde zu bemühen – die eigenen Stärken zu stärken.
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