Freitag, 19. Juni. 80 Häuser, das hörte sich erstmal abstrakt an. Auch hatte man den Eindruck, es ging vor allem um den Aufbau einer Drohkulisse gegenüber Gewerkschaft und Vermietern. Es wäre nicht das erste Mal, dass in Essen bzw. Köln über Bande gespielt wird.
Umso schockierender wirkt da jetzt die von der TW veröffentlichte Schließungsliste: 62 Häuser will Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) dichtmachen, dazu 20 der 30 Sporthäuser. Und es geht eben nicht nur um irgendwelche Provinz-Städte und Stadtteillagen, sondern um einstige Schlachtschiffe wie die Frankfurter Zeil, der Münchner Stachus, die Hamburger Mönckebergstraße, die Düsseldorfer Schadowstraße, die Georgstraße in Hannover. An etlichen Standorten wird es überhaupt kein Warenhaus mehr geben. Zum Beispiel in Dortmund. Selbst am Firmensitz Essen macht man beide Filialen zu. Die von großem PR-Gewitter begleitete und für 2021 geplante Neueröffung in Berlin-Tegel wird ebenfalls nicht stattfinden. Die ECE muss für gleich neun großflächige Center-Standorte Nachmieter finden.
Wer weiß, inwieweit bei diesen Schließungsentscheidungen Rücksicht auf Benko-Immobilien genommen wurde. Und wenn schon – es wäre das gute Recht des GKK-Mitinhabers, so vorzugehen. Was im Einzelfall betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber das müssen letztlich die Chefsanierer Arndt Geiwitz und Frank Kebekus und der diese Woche neu ernannte CEO Miguel Müllenbach unterschreiben.
Der jetzt anstehende Kahlschlag ist natürlich ein Desaster. Und auch hier wirkt die Corona-Krise – um diesen Allgemeinplatz zu bemühen – als Katalysator einer Entwicklung, die ohnehin passiert wäre. Seit über 30 Jahren sind die Warenhäuser im Niedergang. Die Krise war in den 80er Jahren bereits offensichtlich und durch den Wende-Boom Anfang der 90er lediglich überlagert worden. Aus den ehemals vier Konzernen Karstadt, Kaufhof, Hertie und Horten wurden 1994 zwei und 2019 schließlich einer. Der Marktanteil hat sich in den vergangenen 20 Jahren trotzdem fast halbiert. Das Geschäftsmodell wurde von leistungsfähigeren Spezialisten und billigeren Fachmärkten angegriffen. Die überall aus dem Boden sprießenden Einkaufszentren waren für die Konsumenten attraktiver, und der Vormarsch von Amazon & Co. machte den Markt noch enger und wird ihn absehbar für immer verändern.
Auf all diese Herausforderungen fanden die Warenhäuser keine Antwort. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Karstadt und Kaufhof fanden keine Antwort. Denn lokale Player wie Engelhorn und ein Department Store wie Breuninger schafften es sehr wohl, mit der Entwicklung Schritt zu halten.
Der Shutdown legt die fehlende Substanz von GKK nun gnadenlos offen. Und die Restrukturierer Geiwitz und Kebekus müssen nachholen, was in der Arcandor-Insolvenz 2009 aus falscher Rücksichtnahme versäumt worden war. Der Kahlschlag produziert viele Verlierer, allen voran die über 5000 Mitarbeiter, die demnächst ihren Arbeitsplatz los sind. Das Virus zwingt nicht nur das Management zur Notoperation, sondern es schleift mit GKK auch eine der letzten Hochburgen der Gewerkschaften im Einzelhandel. Markenlieferanten verlieren lokalen Marktzugang, das gilt insbesondere für die Wäscheanbieter, aber auch für Warengruppen wie zum Beispiel Haushaltswaren, Haustextilien oder Spielwaren. Auch werden viele Innenstädte jetzt noch unattraktiver. Es ist ja nicht so, dass Karstadt oder Kaufhof eine Zierde jeder Fußgängerzone gewesen wären und für die Frequenz früherer Tage gesorgt hätten. Aber Leerstand ist in jedem Fall noch schlimmer. Die wenigsten Kommunen verfügen über die Hebel einer Stadt wie München, wo ein Rene Benko diverse Bauvorhaben und deswegen ein Interesse an guten Beziehungen zu den städtischen Behörden und Entscheidern hat.
Aber auch dem Österreicher wird Corona einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht haben. Benko dreht ein Riesen-Rad, das ohne wachsenden Cash-flow ins Stocken gerät. Er wie die gesamte Immobilienbranche werden sich jetzt beschleunigt Gedanken über alternative Nutzungskonzepte für ihre Liegenschaften machen müssen. Dumm übrigens, dass auch Büroraum wegen der zunehmenden Remote Work künftig weniger nachgefragt werden wird. Für expansionshungrige Stationäre wie TK Maxx oder Decathlon werden sich nun neue Möglichkeiten in zentralen Lagen ergeben. Aber schon ein Haus wie Kaufhof am Münchner Stachus wird in absehbarer Zeit wohl keinen Einzelhandel in nennenswerten Umfang mehr beherbergen. Die Zeit des Flächenwachstums im Retail ist definitiv vorbei.
Die große Frage ist, was aus GKK nach dem „Befreiungsschlag“ wird. Es ist ja immer noch dasselbe Unternehmen, nur ein kleineres. Der betriebswirtschaftliche Effekt wird schneller verpuffen als die konzeptionellen Fragen beantwortet sind, wie die Warenhäuser aus ihrer strukturellen Misere kommen sollen.
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Dienstag, 23. Juni. Shutdown in Gütersloh. Was klingt wie eine Tatort-Episode ist das Schreckenszenario für die ganze Branche. Eine zweite Corona-Welle würden viele Betriebe nicht überstehen. Immerhin wird den Menschen mit dem Tönnies-Skandal jetzt klar, dass es Ausbeutung und ungesunde Arbeitsbedingungen nicht nur in Bangladesch gibt, sondern auch in Ostwestfalen. Das ist freilich kein Trost. Dazu passt, dass die Clean Clothes Campaign heute den Fashion Checker freigeschaltet hat. Auf dieser Website werden Lieferkettentransparenz und Lohnzahlung von über 100 internationalen Modeanbietern, von Amazon bis Zara, bewertet.
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Mittwoch, 24. Juni. Immer mehr US-Brands boykottieren Facebook, um Mark Zuckerberg von seiner „neutralen“ Haltung gegenüber Trumps Hetze abzubringen. Im Juli wollen The North Face, Patagonia & Co keine Werbung buchen. Das ist die Sprache, die der Facebook-Gründer vermutlich am besten versteht. Außerdem lässt sich damit in Zeiten knapper Kassen das Angenehme (PR) mit dem Nützlichen (Kosteneinsparung) verbinden.