
Es wäre eine steile Behauptung – Aber könnte es sein, dass wir gar keine Konsumkrise haben? Sondern dass die Leute einfach nur weniger Geld für Bekleidung ausgeben wollen?
Diesen Eindruck könnte man jedenfalls bekommen, wenn man sich die Expansion der Billiganbieter anschaut. Der Fachhandel darbt, das Frühjahr beschert den Unternehmen überwiegend Umsatzminus, und mit den Temperaturen steigen nun widersinnigerweise auch die Abschriften. Selbst LVMH & Co müssen zurzeit die Erfahrung machen, dass Luxus nicht immer geht.
Derweil melden die Discounter Rekordergebnisse.
Takko konnte seinen Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr flächenbereinigt um 3,2 Prozent und den Betriebsgewinn überproportional um 28,7 Prozent steigern. Zu den derzeit 2000 Stores sollen bis Ende 2027 weitere 300 dazu kommen.
Auch NKD meldete unlängst für 2024 einen Rekordumsatz. Der Discounter aus Bindlach, derzeit mit 2200 Filialen in sieben Ländern vertreten, sieht in Europa ein Potenzial für weitere 2000 Läden.
Kik ist derzeit dabei, seine 4200 Stores in Europa zu modernisieren. 2028 soll die Renovierung abgeschlossen sein. Perspektivisch will man auf 5000 Filialen wachsen, bereits 2024 kamen 200 neue dazu.
Dieselbe Zahl hat sich Tedi vorgenommen. Allein in Deutschland sieht man Potenzial für 3000 Standorte. Im laufenden Geschäftsjahr 2025/26 will man jeden Tag mindestens eine neue Filiale in Europa eröffnen.
Woolworth hat im vergangenen Geschäftsjahr 120 Läden eröffnet, CEO Roman Heini sieht ein Potential von insgesamt ebenfalls 5000 Filialen.
Und dann ist da auch noch Primark, der in Deutschland zuletzt seine Probleme hatte, international aber auf Wachstumskurs bleibt. Den Sportmarkt rollt der erfolgreich expandierende Decathlon auf. Und der Schuhhandel wird mehr denn je von Deichmann dominiert. Die Essener haben ihre Filialzahl im letzten Geschäftsjahr zwar netto nicht erhöht, aber den Umsatz dennoch von 8,5 auf 8,7 Mrd. Euro gesteigert. Deichmann hat 2024 übrigens allein in Deutschland 67 Millionen Paar Schuhe verkauft, statistisch hat also bald jeder mal dort gekauft.
Als ob so viele neue stationäre Geschäfte nicht genug sind, drücken auch mächtige Onlineplayer ihre Ware verstärkt in den Markt.
Zu allem Überfluss drängen in letzter Zeit verstärkt internationale Größen wie Action und Pepco auf den deutschen Markt. Von deren Profitabilität können sich die hiesigen Anbieter eine Scheibe abschneiden. Pepco verzeichnete 2024 bei einem Umsatz von 6,2 Milliarden einen Betriebsgewinn von 944 Millionen Euro. Bei Action blieben unter dem Strich 2,1 von 13,8 Milliarden Euro Umsatz hängen.
Last but not least bemüht sich nun auch noch Lefties um Standorte in Deutschland, wie die TW berichtet. Das Discountformat, das Inditex aktuell noch in seiner Zara-Sparte versteckt, dürfte mit seinen derzeit 200 großflächigen Läden auch schon für einen Milliardenumsatz gut sein. Bis 2026 sind Medienberichten zufolge 200 Neueröffnungen in Europa geplant.
Und als ob so viele neue stationäre Geschäfte nicht genug sind, drücken auch mächtige Onlineplayer ihre Ware verstärkt in den Markt. So haben Temu und Shein wegen der Zollhürden in den USA ihre Werbeausgaben in Europa massiv erhöht. Irgendwo muss der Plunder ja hin. Sollte der Börsengang irgendwann gelingen, dürfte Shein noch viel mehr Kapital für seine weitere Expansion zur Verfügung haben. Wenn die Politik nicht demnächst dazwischengeht. In Frankreich hat die Nationalversammlung diese Woche eine entsprechende Gesetzgebung verabschiedet und strebt eine europäische Initiative an, die den Chinesen das Geschäft bedeutend erschweren würde.
Aber dann kaufen die Kunden eben bei Amazon, der diese Woche auch in Deutschland seine Schnäppchenabteilung Haul freigeschaltet hat, mit Produkten unter 20 Euro und Mengenrabatten.
Angesicht der ehrgeizigen Expansionspläne drängt sich der Eindruck auf, dass wir es im Discount auch mit einer Blasenbildung zu tun haben.
Es scheint sich international herumgesprochen zu haben, dass den vergleichsweise wohlhabenden und zugleich preisbewussten Deutschen am besten mit Billigangeboten beizukommen ist. Dass die Konsumenten angesichts generell gestiegener Lebenshaltungskosten gerne zu den günstigeren Angeboten greifen, zeigt sich aktuell auch im Lebensmittelhandel. Es mag sein, dass sie bei Textilien auf den einen oder anderen Kauf verzichten. Zugleich ermöglichen ihnen die Billiganbieter, der alten Lust am Konsum weiter zu frönen.
Der Raum für Expansion ist da. Die Pandemie und das Online-Wachstum haben Schneisen in die Fußgängerzonen und Einkaufszentren geschlagen; der Leerstand wird nun von den expansiven Filialisten gefüllt. Dazu kommen ausrangierte Warenhäuser und das Untergeschoss mancher noch existierender Galeria, in die demnächst ein Lidl einziehen dürfte.
Aus der Perspektive eines qualitätsbewussten Fachhändlers liest sich das alles wie der anstehende Untergang des Abendlandes. Angesichts der ehrgeizigen Expansionspläne drängt sich gleichzeitig der Eindruck auf, dass im Discount auch eine Blasenbildung droht. Die Anbieter sind nicht nur Jäger, sie sind auch die Gejagten. Sie konkurrieren nicht nur mit dem Fachhandel, sondern insbesondere untereinander. Der Wachstumsdruck ist hoch, nicht nur weil in diesem Markt Größe im Einkauf ganz besonders zählt, sondern weil hinter den meisten Playern Finanzinvestoren mit Verkaufsabsichten stehen.
Stramme Wachstumsraten mögen die Filialisten zu attraktiv erscheinenden Übernahmezielen machen. Der Attraktivität vieler Innenstädte tut diese Entwicklung indes nicht gut. Übernahme-Gerüchte gab es zuletzt um Woolworth und um NKD. Gut möglich, dass wir bald eine Konsolidierung dieser Szene sehen werden.