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Jäger und Gejagte

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Jür­gen Mül­ler

Es wäre eine stei­le Behaup­tung – Aber könn­te es sein, dass wir gar kei­ne Kon­sum­kri­se haben? Son­dern dass die Leu­te ein­fach nur weni­ger Geld für Beklei­dung aus­ge­ben wol­len?

Die­sen Ein­druck könn­te man jeden­falls bekom­men, wenn man sich die Expan­si­on der Bil­lig­an­bie­ter anschaut. Der Fach­han­del darbt, das Früh­jahr beschert den Unter­neh­men über­wie­gend Umsatz­mi­nus, und mit den Tem­pe­ra­tu­ren stei­gen nun wider­sin­ni­ger­wei­se auch die Abschrif­ten. Selbst LVMH & Co müs­sen zur­zeit die Erfah­rung machen, dass Luxus nicht immer geht.

Der­weil mel­den die Dis­coun­ter Rekord­ergeb­nis­se.

Tak­ko konn­te sei­nen Umsatz im abge­lau­fe­nen Geschäfts­jahr flä­chen­be­rei­nigt um 3,2 Pro­zent und den Betriebs­ge­winn über­pro­por­tio­nal um 28,7 Pro­zent stei­gern. Zu den der­zeit 2000 Stores sol­len bis Ende 2027 wei­te­re 300 dazu kom­men.

Auch NKD mel­de­te unlängst für 2024 einen Rekord­um­satz. Der Dis­coun­ter aus Bind­lach, der­zeit mit 2200 Filia­len in sie­ben Län­dern ver­tre­ten, sieht in Euro­pa ein Poten­zi­al für wei­te­re 2000 Läden.

Kik ist der­zeit dabei, sei­ne 4200 Stores in Euro­pa zu moder­ni­sie­ren. 2028 soll die Reno­vie­rung abge­schlos­sen sein. Per­spek­ti­visch will man auf 5000 Filia­len wach­sen, bereits 2024 kamen 200 neue dazu.

Die­sel­be Zahl hat sich Tedi vor­ge­nom­men. Allein in Deutsch­land sieht man Poten­zi­al für 3000 Stand­or­te. Im lau­fen­den Geschäfts­jahr 2025/26 will man jeden Tag min­des­tens eine neue Filia­le in Euro­pa eröff­nen.

Wool­worth hat im ver­gan­ge­nen Geschäfts­jahr 120 Läden eröff­net, CEO Roman Hei­ni sieht ein Poten­ti­al von ins­ge­samt eben­falls 5000 Filia­len.

Und dann ist da auch noch Pri­mark, der in Deutsch­land zuletzt sei­ne Pro­ble­me hat­te, inter­na­tio­nal aber auf Wachs­tums­kurs bleibt. Den Sport­markt rollt der erfolg­reich expan­die­ren­de Dec­a­th­lon auf. Und der Schuh­han­del wird mehr denn je von Deich­mann domi­niert. Die Esse­ner haben ihre Fili­al­zahl im letz­ten Geschäfts­jahr zwar net­to nicht erhöht, aber den Umsatz den­noch von 8,5 auf 8,7 Mrd. Euro gestei­gert. Deich­mann hat 2024 übri­gens allein in Deutsch­land 67 Mil­lio­nen Paar Schu­he ver­kauft, sta­tis­tisch hat also bald jeder mal dort gekauft.

Als ob so viele neue stationäre Geschäfte nicht genug sind, drücken auch mächtige Onlineplayer ihre Ware verstärkt in den Markt.

Zu allem Über­fluss drän­gen in letz­ter Zeit ver­stärkt inter­na­tio­na­le Grö­ßen wie Action und Pep­co auf den deut­schen Markt. Von deren Pro­fi­ta­bi­li­tät kön­nen sich die hie­si­gen Anbie­ter eine Schei­be abschnei­den. Pep­co ver­zeich­ne­te 2024 bei einem Umsatz von 6,2 Mil­li­ar­den einen Betriebs­ge­winn von 944 Mil­lio­nen Euro. Bei Action blie­ben unter dem Strich 2,1 von 13,8 Mil­li­ar­den Euro Umsatz hän­gen.

Last but not least bemüht sich nun auch noch Lef­ties um Stand­or­te in Deutsch­land, wie die TW berich­tet. Das Dis­count­for­mat, das Indi­tex aktu­ell noch in sei­ner Zara-Spar­te ver­steckt, dürf­te mit sei­nen der­zeit 200 groß­flä­chi­gen Läden auch schon für einen Mil­li­ar­den­um­satz gut sein. Bis 2026 sind Medi­en­be­rich­ten zufol­ge 200 Neu­eröff­nun­gen in Euro­pa geplant.

Und als ob so vie­le neue sta­tio­nä­re Geschäf­te nicht genug sind, drü­cken auch mäch­ti­ge Online­play­er ihre Ware ver­stärkt in den Markt. So haben Temu und Shein wegen der Zoll­hür­den in den USA ihre Wer­be­aus­ga­ben in Euro­pa mas­siv erhöht. Irgend­wo muss der Plun­der ja hin. Soll­te der Bör­sen­gang irgend­wann gelin­gen, dürf­te Shein noch viel mehr Kapi­tal für sei­ne wei­te­re Expan­si­on zur Ver­fü­gung haben. Wenn die Poli­tik nicht dem­nächst dazwi­schen­geht. In Frank­reich hat die Natio­nal­ver­samm­lung die­se Woche eine ent­spre­chen­de Gesetz­ge­bung ver­ab­schie­det und strebt eine euro­päi­sche Initia­ti­ve an, die den Chi­ne­sen das Geschäft bedeu­tend erschwe­ren wür­de.

Aber dann kau­fen die Kun­den eben bei Ama­zon, der die­se Woche auch in Deutsch­land sei­ne Schnäpp­chen­ab­tei­lung Haul frei­ge­schal­tet hat, mit Pro­duk­ten unter 20 Euro und Men­gen­ra­bat­ten.

Angesicht der ehrgeizigen Expansionspläne drängt sich der Eindruck auf, dass wir es im Discount auch mit einer Blasenbildung zu tun haben.

Es scheint sich inter­na­tio­nal her­um­ge­spro­chen zu haben, dass den ver­gleichs­wei­se wohl­ha­ben­den und zugleich preis­be­wuss­ten Deut­schen am bes­ten mit Bil­lig­an­ge­bo­ten bei­zu­kom­men ist. Dass die Kon­su­men­ten ange­sichts gene­rell gestie­ge­ner Lebens­hal­tungs­kos­ten ger­ne zu den güns­ti­ge­ren Ange­bo­ten grei­fen, zeigt sich aktu­ell auch im Lebens­mit­tel­han­del. Es mag sein, dass sie bei Tex­ti­li­en auf den einen oder ande­ren Kauf ver­zich­ten. Zugleich ermög­li­chen ihnen die Bil­lig­an­bie­ter, der alten Lust am Kon­sum wei­ter zu frö­nen.

Der Raum für Expan­si­on ist da. Die Pan­de­mie und das Online-Wachs­tum haben Schnei­sen in die Fuß­gän­ger­zo­nen und Ein­kaufs­zen­tren geschla­gen; der Leer­stand wird nun von den expan­si­ven Filia­lis­ten gefüllt. Dazu kom­men aus­ran­gier­te Waren­häu­ser und das Unter­ge­schoss man­cher noch exis­tie­ren­der Gale­ria, in die dem­nächst ein Lidl ein­zie­hen dürf­te.

Aus der Per­spek­ti­ve eines qua­li­täts­be­wuss­ten Fach­händ­lers liest sich das alles wie der anste­hen­de Unter­gang des Abend­lan­des. Ange­sichts der ehr­gei­zi­gen Expan­si­ons­plä­ne drängt sich gleich­zei­tig der Ein­druck auf, dass im Dis­count auch eine Bla­sen­bil­dung droht. Die Anbie­ter sind nicht nur Jäger, sie sind auch die Gejag­ten. Sie kon­kur­rie­ren nicht nur mit dem Fach­han­del, son­dern ins­be­son­de­re unter­ein­an­der. Der Wachs­tums­druck ist hoch, nicht nur weil in die­sem Markt Grö­ße im Ein­kauf ganz beson­ders zählt, son­dern weil hin­ter den meis­ten Play­ern Finanz­in­ves­to­ren mit Ver­kaufs­ab­sich­ten ste­hen.

Stram­me Wachs­tums­ra­ten mögen die Filia­lis­ten zu attrak­tiv erschei­nen­den Über­nah­me­zie­len machen. Der Attrak­ti­vi­tät vie­ler Innen­städ­te tut die­se Ent­wick­lung indes nicht gut. Über­nah­me-Gerüch­te gab es zuletzt um Wool­worth und um NKD. Gut mög­lich, dass wir bald eine Kon­so­li­die­rung die­ser Sze­ne sehen wer­den.