Es gibt verwirrende Daten aus dem stationären Modehandel. Ein Umsatzplus von 477% meldet die TW für die vergangene Woche. Also fast fünfmal mehr als im Vorjahr. Schon in den Vorwochen hatten sich die Erlöse verdoppelt und verdreifacht. 206%, 306%, 345%, 477% – solche absurden Zuwächse wie in diesem April kennt man allenfalls von manchen Online-Start-ups.
Die Zahlen relativieren sich angesichts eines Vorjahresgeschäfts, das unter Pandemiebedingungen bei oder nahe Null lag. Nichtsdestotrotz hat es jeder siebte Betrieb geschafft, auch in der vergangenen Woche ein Minus zu produzieren. Um diese Firmen muss man sich vermutlich wirklich Sorgen machen.
Ansonsten ist der Vorjahresvergleich wenig aussagekräftig, und die Zahlen sind fast egal. Fakt ist: Die Kunden kommen wieder in die Läden. Was erfreulich ist. Gleichzeitig ist von Wholesale Brands zu hören, dass die über Online-Partner erzielten Erlöse unter Vorjahr liegen. Stationär is back. Und Pandemiegewinner wie Zalando und About You sind mit dem Ende der Kontaktbeschränkungen an der Börse abgeschmiert.
Ein ‚High Five‘ ist trotzdem fehl am Platz. Denn die nächste Krise ist mit dem Krieg in der Ukraine längst angerollt, und diese trifft alle Anbieter, die Stationären wie die Onliner. Die steigenden Energiepreise und die akuten Versorgungsengpässe durch unterbrochene Lieferketten heizen die Inflation weiter an, mit allen Konsequenzen, die dies für das Konsumbudget und die Ausgabebereitschaft der Menschen hat. Die Bundesregierung hat diese Woche ihre Konjunkturprognose für 2022 gesenkt. Das GfK-Konsumbarometer ist auf einem historischen Tiefststand. Es steht zu befürchten, dass die Konsumenten bei den Gütern sparen werden, die nicht lebensnotwendig sind. Mode gehört für die meisten Menschen in diese Kategorie.
Erschwerend kommt hinzu, dass Bekleidung aufgrund der aktuellen Kostensteigerungen in der Beschaffung und Logistik teurer werden müsste. Anders als der Gaspreis lässt sich der Preis für ein T‑Shirt aber nicht eben mal so verdreifachen. Die Unternehmen werden die steigenden Kosten über Sparprogramme, mindere Qualitäten und – wo möglich – teilweisen Margenverzicht zu kompensieren versuchen. Pricing ist anspruchsvoll wie nie. Dort, wo das Produkt oder der Wettbewerb es zulassen, wird man selektiv an der Preisschraube drehen. Primark hat diese Woche entsprechende Maßnahmen angekündigt, ähnlich wie Aldi das im Lebensmittelhandel schon vor Wochen kommuniziert hat.
Das Bild vieler Innenstädte wird sich nicht unbedingt zum Positiven hin entwickeln. Glück haben Mittelstädte wie Ravensburg, Oldenburg oder Husum, wo dominante lokale Platzhirsche das Bild prägen und häufig Einfluss auf die Ansiedlungspolitik nehmen.
Stationär is back, die Pandemie hat die Reihen gleichwohl massiv gelichtet. Fast alle großen Ketten haben ihre Filialsysteme aufgeräumt. RTL hat diese Woche ein paar Zahlen zusammengetragen: Douglas schloss 60, Adler 30, Galeria 60, C&A 13, Pimkie 40, Depot 60, Runners Point schloss alle 73 Läden. H&M hat verkündet, weltweit 250 Filialen dichtmachen zu wollen, Inditex sogar 1200. In vielen Fällen handelt es sich um harte Sanierungen. Bei erfolgreichen Playern wie H&M, Inditex oder Douglas steht hinter den Schließungswellen eine strategische Neuausrichtung, die der Entwicklung des Online-Geschäfts Rechnung trägt. Wenn H&M in München Filialen aufgibt, um demnächst in der Kaufingerstraße ein neues 4500 m² Flagship zu eröffnen, dann geht es darum, als Marke Gesicht zu zeigen. Dazu braucht es nicht an jeder Ecke einen Laden, der im Retail-Expansionswahn der vergangenen Jahre womöglich auch zu teuer angemietet wurde. Ein Glanzlicht in prominenter Lage strahlt da hell genug. Ganz ähnlich dürfte es sich bei Zaras kürzlichem 7700 ²‑Aufschlag in Madrid verhalten. Und wenn Breuninger demnächst in München (Konen) und Hamburg Kaufhäuser errichtet, werden diese auch Showrooms für den florierenden Webshop sein.
Bei dem Leerstand, der sich aktuell in vielen Innenstädten und Einkaufszentren zeigt, wird es nicht bleiben. Es gibt immer noch Retailformate, die stationär expandieren. Kik, Woolworth, NKD, Tedi, auch TK Maxx werden sich vielerorts als Nachmieter bewerben. Diese Woche hat Pepco in Berlin seine Deutschland-Premiere gefeiert, ein aggressiv wachsender polnischer Discounter mit mehr als 2500 Läden in 14 Ländern. Auch der niederländische Billigheimer Action plant für dieses Jahr 50 Filialen in Deutschland. Die Preiskonzepte sind zur stationären Expansion gezwungen, weil der Online-Vertrieb aufgrund des kleinen Warenkorbs für sie keine profitable Option ist. Das Bild vieler Innenstädte wird sich dadurch, was den Retail angeht, nicht unbedingt zum Positiven hin entwickeln. Glück haben Mittelstädte wie Ravensburg, Oldenburg oder Husum, wo dominante lokale Platzhirsche das Bild prägen und häufig Einfluss auf die Ansiedlungspolitik und Innenstadtentwicklung nehmen.
Auf der anderen Seite drängen neue Brands in die Einkaufslagen, die man dort bis vor kurzem nicht vermutet hätte. Die schicken Showrooms von Tesla, Lexus, Apple oder Dyson, ein Ritter Sport-Geschäft und ein M&Ms-Kaufhaus wird man indes nur am Ku‘damm, an der Friedrichstraße oder am Odeonsplatz finden, aber weniger in den Fußgängerzonen von Duisburg, Rostock oder Reutlingen.
Zugleich könnte durch die sinkenden Ladenmieten in den Nebenlagen und Stadtteilrevieren der Großstädte neuer Raum für individuellen Einzelhandel und innovative Formate entstehen. Kundennähe – im besten Sinne des Wortes – hat sich auch während der Pandemie ausgezahlt.