Boss

Schein und Sein

Deutsche Modefirmen haben in Bezug auf Ihre Herkunft gerne geflunkert. Nun ist Ehrlichkeit die Voraussetzung für Vertrauen. Und Vertrauen wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass man uns etwas abkauft. Carl Tillessen über Modemarken in der Identitätskrise.
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Carl Til­les­sen

Die Hand­ta­sche aus Frank­reich, die Schu­he aus Ita­li­en, der Regen­man­tel aus Eng­land, die Uhr aus der Schweiz und das Auto aus Deutsch­land. Ja. Aber Mode aus Deutsch­land? Das, so glaub­te man lan­ge, sei kei­ne gute Sto­ry.

Und des­halb haben deut­sche Mode­fir­men in Bezug auf Ihre Her­kunft eigent­lich immer geflun­kert. Wir ken­nen sie alle, die­se deut­schen Mar­ken mit den fran­zö­sisch, ita­lie­nisch oder eng­lisch klin­gen­den Namen: René Lezard, Stre­nes­se, Elé­gan­ce, Esprit, Esca­da, Cin­que, Tom Tail­or, Bet­ty Bar­clay, Ger­ry Weber … Wir ken­nen sie, weil sie ein­mal sehr erfolg­reich waren. Und ihr anfäng­li­cher Erfolg beruh­te wohl tat­säch­lich zu einem nicht uner­heb­li­chen Teil dar­auf, dass sie sich als fran­zö­si­sche, ita­lie­ni­sche, eng­li­sche oder ame­ri­ka­ni­sche Mar­ken aus­ge­ge­ben hat­ten.

Jede die­ser ehe­mals so erfolg­rei­chen Mar­ken muss­te inzwi­schen min­des­tens ein­mal Insol­venz anmel­den. Lei­der. Selbst­ver­ständ­lich hat so etwas immer vie­le Grün­de. Aber einer die­ser vie­len Grün­de ist, dass durch die Glo­ba­li­sie­rung pseu­do-fran­zö­si­sche, ‑ita­lie­ni­sche und ‑ame­ri­ka­ni­sche Mode weit­ge­hend ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung ver­lo­ren hat, weil ori­gi­nal-fran­zö­si­sche, ‑ita­lie­ni­sche und ‑ame­ri­ka­ni­sche Mode sowohl für Händ­ler als auch für End­ver­brau­cher aller­orts pro­blem­los ver­füg­bar ist. Und ein ande­rer die­ser vie­len Grün­de ist, dass die Digi­ta­li­sie­rung eine Trans­pa­renz geschaf­fen hat, in der die fal­schen Iden­ti­tä­ten der deut­schen Fir­men sofort auf­flie­gen. Das Inter­net erweist sich als ein Lügen­de­tek­tor, durch den unau­then­ti­sche Mar­ken-Sto­ries sofort durch­schaut und bestraft wer­den. So leis­te­te das, was frü­her ein­mal zum Auf­stieg die­ser Unter­neh­men bei­getra­gen hat­te, jetzt einen Bei­trag zu ihrem Nie­der­gang.

Authen­ti­zi­tät ist die Wäh­rung des Inter­net­zeit­al­ters. In aktu­el­len Umfra­gen sagen fast 90% aller Men­schen, dass bei der Ent­schei­dung, wo sie ein­kau­fen, Authen­ti­zi­tät für sie extrem wich­tig ist. In der Mode wur­de noch nie so viel von Authen­ti­zi­tät gere­det wie jetzt. Alle spü­ren den Druck, authen­tisch zu sein, aber kaum jemand weiß, wie man es wird.

Per Defi­ni­ti­on emp­fin­den wir etwas dann als authen­tisch, wenn Schein und tat­säch­li­ches Sein über­ein­stim­men. Inso­fern ist Authen­ti­zi­tät eine Form von Ehr­lich­keit. Und Ehr­lich­keit ist die Vor­aus­set­zung für Ver­trau­en. Und Ver­trau­en wie­der­um ist die Vor­aus­set­zung dafür, dass man uns etwas abkauft – im über­tra­ge­nen wie im wört­li­chen Sinn: Fast 80% der Gene­ra­ti­on Z sagen, dass es ihnen wich­ti­ger als je zuvor ist, bei ver­trau­ens­wür­di­gen Mar­ken zu kau­fen. Fast die Hälf­te aller Men­schen sagt, dass sie für Pro­duk­te von Mar­ken, denen sie ver­traut, sogar bereit wäre, einen höhe­ren Preis zu bezah­len. Und 67% sagen, dass sie Mar­ken, denen sie ver­trau­en, treu blei­ben und sie wei­ter­emp­feh­len.

Wäh­rend in Deutsch­land um 1980 alles beliebt war, was aus Ita­li­en kam, war in Ita­li­en alles beliebt, was aus den USA kam. Des­halb gab sich der ita­lie­ni­sche Schuh­pro­du­zent Del­la Val­le als ame­ri­ka­ni­sches Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men aus. Mit ame­ri­ka­ni­schen Pro­mi-Fotos aus den 1950er und 1960er Jah­ren mach­te er die Mensch­heit glau­ben, die Loa­fer des frei erfun­de­nen J.P. Tod sei­en in den USA längst ein Klas­si­ker.

Doch mit Ein­füh­rung des Inter­nets flog auch hier der gan­ze Schwin­del auf. Man mach­te das ein­zig Rich­ti­ge, näm­lich eine Kehrt­wen­de: Del­la Val­le, der den Kern sei­ner Mar­ke ursprüng­lich als “a casu­al chic style direct­ly inspi­red by the East Coast of the United Sta­tes” defi­niert hat­te, erklär­te jetzt: “The Ita­li­an life­style is in our DNA, and in our group we belie­ve in our DNA”. Seit­her zei­gen die Tod’s‑Kampagnen statt arche­ty­pi­scher Ame­ri­ka­ner typi­sche Ita­lie­ner, die an typisch ita­lie­ni­schen Orten (z.B. Piaz­za San Mar­co in Vene­dig) typisch ita­lie­ni­sche Din­ge machen (z.B. Caf­fè trin­ken). Man bekennt sich also nicht nur zu sei­ner tat­säch­li­chen Her­kunft, man hat gelernt, sie sich zunut­ze zu machen. Und die­se authen­ti­sche Mar­ken-Sto­ry beschert Del­la Val­le nach­hal­ti­gen welt­wei­ten Erfolg.

Als Hei­de­ma­rie Jili­ne San­der Ende der 1960er Jah­re ihre eige­ne Mode­mar­ke launch­te, nann­te sie sich ein­fach „Jil“ und hoff­te, dass die Fra­ge nach der Her­kunft Ihrer Mar­ke gar nicht auf­kom­men wür­de. Doch auch für sie erwies sich die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge als unaus­weich­lich. Ihr war bewusst, dass Ihr Hei­mat­land nicht gera­de für weg­wei­sen­des Mode­de­sign stand. Durch die Bau­haus-Bewe­gung hat­te es sich aber für weg­wei­sen­des Design in ande­ren Berei­chen qua­li­fi­ziert. Also stell­te San­der sich ganz bewusst in die Tra­di­ti­on des „Less is more“, das Gestal­ter wie Mies van der Rohe bereits vor ihr von Deutsch­land aus in die Welt getra­gen hat­ten. Als „Queen of Less“ schrieb sie die ers­te glo­ba­le Erfolgs­ge­schich­te einer deut­schen Desi­gner­mar­ke.

Sich zu seiner Herkunft zu bekennen, ist schon mal ein Schritt in Richtung Ehrlichkeit. Aus dieser Herkunft eine aalglatte PR-Story zu machen, ist aber noch keine Authentizität. Echte Authentizität erfordert den Mut, sich ungeschönt zu zeigen.

Boss war ursprüng­lich gezielt irre­füh­rend unter dem ame­ri­ka­nisch anmu­ten­den Nach­na­men des Fir­men­grün­ders gestar­tet. Doch im Gegen­satz zu so vie­len ande­ren deut­schen Mar­ken, erkann­te man in die­sem Fall recht­zei­tig, dass ehr­lich am längs­ten währt. Des­halb bekennt man sich seit 1993 zu Hugo, dem typisch deut­schen Vor­na­men des Fir­men­grün­ders, und damit zum Deutsch­sein.

Auch bei Hugo Boss macht man sich die­ses Deutsch­sein zunut­ze: Man lädt das eige­ne Image mit typisch deut­schen Tugen­den wie Bestän­dig­keit, Prä­zi­si­on und Qua­li­tät auf. Man klei­det die welt­weit bekann­ten und belieb­ten deut­schen Fuß­ball­na­tio­nal­spie­ler ein. Und man prä­sen­tiert sich mit einem Kam­pa­gnen-Shoo­ting zwi­schen Bar­ce­lo­na-Chair, Glas, Stahl und grü­nem Mar­mor als Nach­fol­ger Mies van der Rohes.

Sich zu sei­ner tat­säch­li­chen Her­kunft zu beken­nen, ist schon mal ein Schritt in Rich­tung Ehr­lich­keit. Aus die­ser Her­kunft eine aal­glat­te PR-Sto­ry zu machen, ist aber noch kei­ne Authen­ti­zi­tät. Ech­te Authen­ti­zi­tät erfor­dert den Mut, sich unge­schönt zu zei­gen. „We are ente­ring the era of radi­cal hones­ty“, titel­te Vogue Busi­ness Mit­te Juni. Nicht nur Influen­cer müs­sen unver­stellt rüber­kom­men, um ihr Publi­kum zu errei­chen und Pro­duk­te zu ver­kau­fen. Auch Mar­ken müs­sen sich jetzt in die­sem Sin­ne authen­tisch zei­gen, um Kun­din­nen und Kun­den für sich zu gewin­nen und zu hal­ten. In Umfra­gen zeigt sich, dass ins­be­son­de­re die jün­ge­ren Gen­ra­tio­nen Y und Z Mar­ken bevor­zu­gen, die „echt und gewach­sen“ sind, im Gegen­satz zu „per­fekt und hübsch ver­packt“.

Der ame­ri­ka­ni­sche Mode­de­si­gner Wil­ly Cha­var­ria ist Sohn eines mexi­ka­ni­schen Ein­wan­de­rers. Sei­ne Kol­lek­tio­nen und ihre Insze­nie­run­gen geben uns einen Ein­blick in das pre­kä­re und doch stol­ze Leben der Lati­nos in den USA. Die Fas­zi­na­ti­on, die von die­ser authen­ti­schen Under­dog-Sto­ry aus­geht, ist so stark, dass Adi­das unbe­dingt mit Cha­var­ria koope­rie­ren woll­te und die gesam­te A‑Prominenz der USA unbe­dingt sei­ne Klei­dung tra­gen will.

Die bri­ti­sche Mode­de­si­gne­rin Grace Wales Bon­ner ist die Toch­ter eines jamai­ka­ni­schen Ein­wan­de­rers. Sie über­setzt ihre per­sön­li­chen Wur­zeln in eine Design­spra­che, in der sich, wie sie selbst erklärt, euro­päi­sche Tra­di­tio­nen mit afro-atlan­ti­schem Geist mischen. Mit genau die­ser Mischung ver­half sie dem Adi­das Sam­ba und damit der gan­zen Mar­ke Adi­das zu einem furio­sen Come­back.

Wil­ly Cha­var­ria und Grace Wales Bon­ner sind im Main­stream noch unbe­kannt. Ihre Geschich­ten sind kei­ne impo­san­ten oder gla­mou­rö­sen Geschich­ten. Aber es sind authen­ti­sche Geschich­ten. Und des­halb berüh­ren sie. Dass eine sol­che Geschich­te einem Welt­kon­zern wie Adi­das den ent­schei­den­den Schub geben kann, zeigt, wel­ches Poten­zi­al Authen­ti­zi­tät jetzt für die Mode hat. Was das kon­kret für Kol­lek­tio­nen und Kam­pa­gnen bedeu­tet, dar­um geht es unter ande­rem im DMI FASHION DAY ONLINE A/W 26/27.

Ct konsum
Carl Til­les­sens Buch "Kon­sum" hat es in die Spie­gel-Best­sel­ler-Lis­te gebracht

Carl Til­les­sen ist Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Mode-Ins­­­­­­ti­­­­­­­tuts. Sein Buch “Kon­sum” geht der Fra­ge nach, wie, wo und vor allem war­um wir kau­fen. www.carltillessen.com

Bei­trä­ge von Carl Til­les­sen