Derzeit lese ich das Buch Icons of Men’s Style von Josh Sims mal wieder – zur Auffrischung des allgemeinen Wissens um die Kleidung des Mannes. Es ist ein gut konzipiertes und erkenntnisreiches Buch, das der Engländer geschrieben hat – allerdings würde es heute, elf Jahre nach seiner ersten Publikation, so nicht mehr veröffentlicht werden können. Denn Sims baut seinen Kanon der Eleganz fast ganz auf dem Feindbild unserer Zeit auf, dem „alten weißen Mann“.
Schon das Cover ginge nicht mehr: Es zeigt den damals bereits 49-jährigen Schauspieler Gregory Peck beim Studium seiner Rolle als David Pollock in Arabesque, der Film erschien 1966. Heute wäre es ganz unerheblich, ob das Bild lässig und das Outfit zeitlos-cool ist – dieser ältere weiße Herr auf dem Titel einer Stilfibel wäre ein No-go. Es müsste ein junger non-binärer oder queerer Typ her, idealerweise in Frauenkleidern. So sind die Regeln heute.
Das Buch Icons of Men’s Style enthält 264 Fotos, die den zeitlosen Baukasten des elegant gekleideten Mannes illustrieren. Es geht um Kleidungsstücke, die den Rang eines ikonischen Elements der Garderobe bekommen haben (Parka, Bomberjacke, Trenchcoat etc.). Illustriert wird diese Übersicht durch Fotos der großen Stilhelden der letzten hundert Jahre: Der Duke of Windsor, Steve McQueen, Cary Grant, Paul Newman, Michael Caine, David Bowie, Sean Connery, Rock Hudson, Mick Jagger, sogar Ronald Reagan und Tom Cruise sind drin. Es kommen in dem ganzen Reigen der Eleganz nur gerade viermal people of colour vor, nämlich der Popstar Michael Jackson mit seinen Penny-Loafers, die Boxer Mike Tyson und Sugar Ray Robinson sowie ein namenloses Grüppchen junger Navy-Soldaten dunkler Hautfarbe, die in ihren weißen T‑Shirts cool aussehen. Die Stilgeschichte, so möchte man nach der Lektüre dieses Buchs meinen, wurde fast gänzlich von Weißen geschrieben.
Ist der Autor Josh Sims vielleicht ein Rassist? Wäre man ein woker Zeitgenosse, so könnte man ihn als solchen an den virtuellen Pranger stellen und die Weiterverbreitung seines Buchs verunmöglichen oder doch zumindest seine Verkaufszahlen erheblich schmälern. Ein solches „Canceln“ seiner Arbeit würde aber den Falschen treffen. Denn die klassische Stilgeschichte baute nun mal auf diese Helden des Silver Screen – Hollywood und sein Personal waren etliche Jahrzehnte lang die entscheidende Referenz. Das Buch bildet also nur ab, was war.
Heute sind die Echokammern der Populärkultur diverser. Die Hiphop-Kultur ist seit Anfang der 1980er Jahre zur dominanten Größe im Musikbusiness avanciert. Die Black Lives Matter-Bewegung hat unsere Welt nachhaltig verändert. Und mit dem Aufkommen von Instagram als tonangebendem Bildmedium unserer Zeit findet jede modische, ethnische oder sexuelle Couleur ein respektables Publikum.
Ein Buch wie das von Josh Sims würde man heute also sicher anders konzipieren. Da gehörten dann Malcolm X oder Sammy Davis Jr. rein, auch Jean-Michel Basquiat, Marvin Gaye, Sidney Poitier, Jimi Hendrix oder Prince, und mit etwas Glück sogar noch lebende Figuren wie Lenny Kravitz oder Pharrell Williams. Nur dieser aufgeblasene Kanye West, der müsste bitte draußen bleiben.