…Ihr Brief dürfte den Adressaten dennoch nicht erreichen. Aber man soll in solchen Fällen, auch wenn sie hoffnungslos erscheinen, ja nichts unversucht lassen:
Lieber Herr Berggruen,
wenn wir die Medien studieren, geht es Ihnen wie einem erfolglosem Team-Manager – man gibt Ihnen nicht mehr viel Zeit, einen guten Trainer zu finden, eine Mannschaft zu motivieren und die Fans zurück zu gewinnen. Vermutlich gibt es überhaupt nur drei Menschen in Deutschland, die das hinbekommen, und theoretisch bringen Sie alles mit: Aber: Sie müssen endlich “Umparken im Kopf” und Herzblut investieren. Karstadt braucht Sie als Unternehmer – nicht als Investor!
Was haben wir uns gefreut, als Sie 2010 aus dem Nichts im Bieterprozess um die Zukunft von Karstadt als weißer Ritter auftraten! Sie waren unser aller Mann, der Mann, der nicht in das klassische Klischee der Heuschrecke passte, dem Kunst und gesellschaftspolitisches Engagement so wichtig waren wie der Kommerz. Wir glaubten, Sie schaffen das, finden einen guten Trainer und haben die richtige Mischung aus Liebe zum Objekt, Bereitschaft zum Invest und Geduld zu warten. Ein echter Unternehmer im klassischen Sinne.
Zunächst schien es, Sie fangen es richtig an, holen einen international erfahrenen Trainer, frische Marken und geben der Mannschaft Zeit für den Umbau. Nur während Andrew „Scolari“ Jennings ein defensives Spielsystem testete, rollten Internet und andere störende Markt-Faktoren über Karstadt hinweg. Ja, Jennings kam ungeschlagen zur WM in Essen, aber er war eben auch ein Warenhauspatriarch aus dem letzten Jahrhundert, als Karstadt einen Jogi gebraucht hätte. Als es nicht lief, haben Sie Stars wie das KadeWe verkauft, um der Mannschaft mehr Geld für den Neubeginn zu geben. Den harten Mr. Jennings ersetzten Sie mit der netten Frau Sjöstedt. Nun ja, auch der DFB hat zwischenzeitlich mit Weltmeistertrainern aus dem Feldhockey experimentiert. Aber wenn der Trainer von den Spielern lernt, woher kommt dann die Vision vom modernen Spiel, und wie entsteht Führungsautorität in der Krise? Apropos: wo waren Sie in der Zeit?
Denken Sie neu. Ihre Finanzberater irrten, als Sie vorschlugen, Karstadt kann finanzwirtschaftlich aus eigener Kraft wachsen, und hat Luft, Ihnen jährlich Lizenzgebühr zu zahlen. Klar, ein Warenhaus für 1 Euro ist kein Risiko. Aber sagen Sie selbst: War die Medienberichterstattung über Sie das wert? Warenhaus ist ein schrumpfendes Geschäftsmodell in den USA, in Japan, selbst China, und in der traditionellen Form ist es ein Modell des letzten Jahrhunderts, gebaut für einen Markt ohne Shopping Center, ohne Internet. England zeigt Warenhaus hat Zukunft mit Multichannel, aber die Sache mit dem selbsttragenden Geschäftsmodell ist eine Mär, wenn man bei Häusern und Menschen 20 Jahre Investitionsstau aufholen muss.
Bevor Sie uns in den nächsten Wochen den nächsten Trainer präsentieren und wieder abreisen, machen Sie es diesmal anders: Karstadt hat ein Macht-Vakuum, nicht weil der Trainer fehlt, sondern der Unternehmer, ein Mann mit der Vision von der Zukunft des Warenhauses. Übernehmen Sie Verantwortung. Warenhaus braucht Liebe für Retail, Ware und Menschen. Bringen Sie sich aktiv in die Mannschaft ein. Schreiben Sie Karstadt als Invest ab, buchen Sie es in Ihre Sammlung der Herzensangelegenheiten um. Karstadt ist kein Deal, und es braucht einen weitsichtig investierenden Unternehmer, der aus Karstadt ein ansehnliches Spiel macht. Messen Sie nicht in Payback, EBIT oder Cash Flow, messen Sie die Anzahl inspirierender Warenpräsentationen, exzellenter Serviceleistungen, zurückgewonnener Kundenherzen; dann kommt der wirtschaftliche Erfolg von selbst. Der Kaufhof zeigt, Warenhaus Deutschland geht, auch im neuen Jahrtausend mit einfachen Mitteln, wirtschaftlich, wenn der Unternehmer es unterstützt.
Sollten Sie Ihre Leidenschaft verloren haben, was wir verstünden angesichts von vier erfolglosen Jahren, dann gehen Sie mit Würde, so lange Sie noch Zeit haben und Karstadt noch eine Chance hat. Reichen Sie das Unternehmen weiter an einen Unternehmer. Jemand, der Karstadt sieben Jahre Kapital und Vertrauen gibt, bevor er beginnt, es mit wirtschaftlichen Maßstäben zu messen.
Ganz ehrlich, unsere liebste Option wäre jedoch, Sie würden bleiben, denn Sie haben alles, was es für den Unternehmer braucht. Vor allen Dingen realistische Erwartungen für die nächsten Jahre. Vielleicht ist der beste nächste Schritt, Sie setzen sich für die Wiederbelebung Ihrer Karstadt-Liebe ins Flugzeug nach England. Nein, fahren Sie nicht zu Selfridges in London, sondern zu John Lewis nach Yorkshire. Dort können Sie besichtigen, was Karstadt in Bielefeld oder Essen ausmachen könnte, mit einer Mannschaft die Intrapreneurship lebt, ein Warenhaus schafft, das über Expansion und Internet wächst – auch in den Mittelstädten. John Lewis verkörpert all die guten Eigenschaften des deutschen WM-Teams 2014: Zuerst ist eine Mannschaft, die ackert und spielt, die Selbstvertrauen hat und Spiele gewinnt, weltmeisterlich.
Schaffen Sie das in Essen mit gutem Unternehmertum, mit Weitsicht, Kapital und Geduld. Sie und Karstadt haben verdient, zu einer erfolgreichen WM-Mannschaft 2022 zusammen zu wachsen. Wir versprechen, wir kommen wieder als Kunde und Fan, denn Konsum wächst dort, wo Inspiration ist, online und offline.
Ihr Guido Schild, Retail Intrapreneur
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