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Freund oder Fressfeind?

Wie halten es Marken mit Plattformen? Stefan Wenzel wirft den Blick auf ein paar Realitäten.
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

Der Har­vard Busi­ness Mana­ger fragt in einem gro­ßen Arti­kel sei­ner aktu­el­len Aus­ga­be, ob Ama­zon Freund oder Fress­feind ist. Gap Fashion hat das für sich beant­wor­tet und kürz­lich ange­kün­digt, sei­ne Mode auch beim Pri­mus der digi­ta­len Gemischt­wa­ren-Stores zu ver­kau­fen. Sie ist damit bei wei­tem nicht die ers­te oder ein­zi­ge Mar­ke aus dem Reich des Mode-Main­streams, die sich auf die Platt­form traut. Auch Levi’s und Cal­vin Klein sind neben vie­len ande­ren beim Gigan­ten aus Seat­tle gelis­tet, wäh­rend sich ande­re – wie Nike oder Bir­ken­stock –  medi­en­wirk­sam ver­ab­schie­det haben.

Wie hal­ten wir es als Mar­ke mit Platt­for­men? Das wird schon immer lei­den­schaft­lich dis­ku­tiert. Der Blick auf ein paar Rea­li­tä­ten hilft bei der Ent­wick­lung einer eige­nen Sicht und Stra­te­gie.

Rea­li­tät 1: Mar­ken­pfle­ge und Kun­den­ge­win­nung vs. Absatz. Ob eine Akti­vi­tät auf einer Platt­form sinn­voll ist, hängt von den Zie­len ab – Mar­ken­pfle­ge und Kun­den­ge­win­nung soll­ten aber nicht zu weit oben auf der Lis­te ste­hen. Das Geschäft auf den gro­ßen Platt­for­men läuft in der Regel fast aus­schließ­lich über die Onsite-Suche und die Navi­ga­ti­on und damit über Pro­dukt-Lis­ten als Expe­ri­ence. Das ist ein ähn­lich effek­ti­ves Brand-Buil­ding wie eine Such­ergeb­nis-Sei­te von Goog­le. Mar­ken brau­chen zur Pfle­ge ihrer Mar­gen-begrün­den­den Magie ihren eige­nen Frame. Und so sehr sich Platt­for­men mit Mar­ken-Shops und dezi­dier­ten Landing­pa­ges für Brands auch bemü­hen – eine Mul­ti­la­bel-Platt­form wird nie einen eige­nen Mar­ken-Frame erset­zen kön­nen.

Auch wer­den kei­ne Kun­den­da­ten gene­riert, mit denen man eige­nes Direkt­ge­schäft initi­ie­ren kann. Die Kon­tak­te gehö­ren der Platt­form, die­se haben häu­fig über vie­le Jah­re in den Auf­bau des Kun­den­stamms und die Reich­wei­te inves­tiert. Der Zugang wird an Ver­käu­fer auf der Platt­form ver­mie­tet und über Umsatz­pro­vi­si­on und Wer­be­kos­ten mone­ta­ri­siert. Der Anteil an Platt­form-Käu­fern, die im Nach­gang vor lau­ter Pro­dukt­be­geis­te­rung den D2C-Shop der Mar­ke ansteu­ern, ist gering. Und bei Händ­lern als Platt­form-Ver­käu­fer noch gerin­ger. Aus­nah­men bestä­ti­gen die Regel.

Han­dels­platt­for­men sind sehr effek­ti­ve Absatz- und Wer­be-Kanä­le mit mas­si­ver Reich­wei­te und Mög­lich­kei­ten zur mini­mal­in­va­si­ven Inter­na­tio­na­li­sie­rung. Dafür wur­den sie kon­zi­piert, und dar­in liegt das Ratio­nal, auf ihnen aktiv zu sein.

Rea­li­tät 2: Volu­men vs. Pro­duk­ti­vi­tät. Mit sei­nem geschätz­ten welt­wei­ten Beklei­dungs­um­satz von 40 bis 50 Mrd. Euro ist Ama­zon (einer) der Markt­füh­rer im Mode-Seg­ment. Das beacht­li­che Volu­men ver­teilt sich jedoch über beacht­lich vie­le Mar­ken und Händ­ler, so dass die durch­schnitt­li­chen Umsät­ze je Anbie­ter rela­tiv über­schau­bar sind. Von den ins­ge­samt ca. 45.000 Anbie­tern auf Amazon.de schaff­ten es letz­tes Jahr zum Bei­spiel ledig­lich 900 auf mehr als eine Mil­li­on Euro Umsatz. Zugleich ist der Auf­wand, auf einer Platt­form erfolg­reich zu ope­rie­ren, nicht uner­heb­lich. Nicht sel­ten sind des­halb selbst bei grö­ße­ren Mar­ken die Umsät­ze klei­ner und die Kos­ten grö­ßer als vor­her gedacht. Daher ist Rea­lis­mus gefragt, und die Aus­wahl einer Platt­form soll­te neben ope­ra­ti­ven The­men vor allem eine boden­stän­di­ge Umsatz- und Deckungs­bei­trags-Simu­la­ti­on beinhal­ten.

Rea­li­tät 3: Preis­sen­si­ti­vi­tät vs. Deckungs­bei­trag. Die Preis­sen­si­ti­vi­tät auf Platt­for­men ins­ge­samt und vor allem auf den füh­ren­den Gemischt­wa­ren-Platt­for­men ist groß. Das bedeu­tet, dass man ohne erheb­li­che Abschrif­ten kaum Sicht­bar­keit in den alles ent­schei­den­den Such­ergeb­nis­sen bekommt. Wer an der Dis­count-Schrau­be dreht, spürt sofort das Volu­men­po­ten­zi­al, aber eben auch den Effekt auf die Mar­ge. Wäh­rend auf den gro­ßen Platt­for­men Alt­wa­re mit durch­ge­hend hohen Rabat­ten gut funk­tio­niert, schwin­gen spe­zia­li­sier­te Mode-Platt­for­men im Takt der Sai­sons mit Neu­wa­re und eher punk­tu­el­len Pro­mo­tio­nen und Aktio­nen. Auch das soll­te bei der Aus­wahl der Platt­form berück­sich­tigt wer­den.

Da kei­ne eige­ne Kun­den­be­zie­hung auf­ge­baut wird, soll­te jede Trans­ak­ti­on iso­liert auf DBII-Ebe­ne wirt­schaft­lich sein. Platt­for­men haben zeit­gleich aber in der Regel deut­lich höhe­re Retou­ren­quo­ten als Stand-Alo­ne-Shops, und die Waren­kör­be beinhal­ten je Ver­käu­fer im Schnitt weni­ger als 1,5 Arti­kel. Das hat erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Selek­ti­on und ver­deut­licht, wie wich­tig das The­ma Steue­rung auf Platt­for­men ist.

Rea­li­tät 4: Umfeld vs. FOMO. Die User-Expe­ri­ence auf den gro­ßen Ever­y­thing-Store-Platt­for­men ist oft denk­bar weit von den Anfor­de­run­gen einer Mode­mar­ke ent­fernt, und die Erleb­nis­qua­li­tät auf den Platt­for­men sinkt fast natur­ge­mäß mit stei­gen­den Markt­platz-Antei­len. Das ist ein Pro­blem der meis­ten uni­ver­sel­len Platt­for­men und damit Teil der grund­sätz­li­chen For­mat-Fra­ge. Bei der Suche nach pass­fä­hi­gen Platt­for­men darf man indes genau­so sen­si­bel sein wie frü­her bei der Aus­wahl sta­tio­nä­rer Lagen oder von Shop­ping Cen­tern. Und FOMO, fear of miss­ing out, ist ein Reflex, den es sich zu kon­trol­lie­ren lohnt. Die Akti­vi­tät ande­rer kor­re­liert nicht zwangs­läu­fig mit Sinn­haf­tig­keit.

Rea­li­tät 5: Image vs. Selbst­bild. Ein Blick in Goog­le Trends ist ein unkom­pli­zier­ter Weg, ein Gefühl für die Rele­vanz der eige­nen Mar­ke zu bekom­men. Das ist für vie­le ein frus­trie­ren­des Erleb­nis, gibt es doch oft bemer­kens­wer­te Unter­schie­de zwi­schen Selbst- und Fremd­wahr­neh­mung. Die selek­tiv-sen­si­blen Anten­nen eini­ger Main­stream-Her­stel­ler sehen in den gro­ßen, offe­nen Platt­for­men eher Anbie­ter für Beklei­dung denn für Mode und frem­deln aus ihrem Selbst­bild als Fashion-Mar­ke her­aus. So nach­voll­zieh­bar das sein mag, ist es oft­mals jedoch eine von der Rea­li­tät etwas ent­rück­te Selbst­er­hö­hung und Ent­kopp­lung von ihren Konsument:innen. Wie­viel näher man in Wirk­lich­keit ein­an­der ist, sieht man an Ama­zons Beklei­dungs­um­sät­zen – auch mit den Peer-Mar­ken.

Rea­li­tät 6: Mar­ken-Schutz durch Par­ti­zi­pa­ti­on: Die teil­wei­se unkon­trol­lier­te (Über-)Distribution über Who­le­sa­le führt dazu, dass die eige­ne Mar­ke wahr­schein­lich schon heu­te auf allen denk­ba­ren Platt­for­men ver­kauft wird – nur eben von ande­ren und nicht sel­ten in frag­wür­di­ger Qua­li­tät. Wer sei­ne Mar­ke auf Ama­zon nicht regis­triert, kann sie auch nicht schüt­zen. Und wer selbst nicht prä­sent ist, über­lässt den Ver­wer­tern und ande­rem Wild­wuchs die Büh­ne. Das hilft weder dem Umsatz noch dem Image.

Einer defizitären GuV oder dem Abbau von Überhängen kann die Plattform-Präsenz dienlich sein. Einem verblassten Marken-Stern wird man indes zu keiner neuen Strahlkraft verhelfen.

Fazit: So sehr man auf ein­fa­che Ant­wor­ten hofft, so wenig gibt es eine Blau­pau­se für die rich­ti­ge Stra­te­gie. Ein diver­si­fi­zier­ter Ansatz, der die Stär­ken der ein­zel­nen For­ma­te kom­bi­niert und mit­ein­an­der syn­chro­ni­siert, wird in aller Regel schwer zu schla­gen sein:

- Direct-to-Con­su­mer für Mar­ken-Auf­bau und ‑Pfle­ge bei vol­ler Kon­trol­le und Mar­ge

- Spe­zia­li­sier­te Fashion-Platt­for­men für Absatz und Deckungs­bei­trä­ge und ohne Preis­wett­be­werb mit dem eige­nem D2C

- Gemischt­wa­ren-Platt­for­men zur Mar­ken-schüt­zen­den Prä­senz für selek­ti­ve Sai­son­wa­re und ohne Preis­wett­be­werb mit eige­nem D2C

- Gemischt­wa­ren-Platt­for­men für Über­hän­ge und Restan­ten ggf. über Drit­te, das eige­ne D2C für Schwarz­prei­se

- In Zei­ten, in denen jeder noch so klei­ne Who­le­sa­le-Part­ner auch auf Platt­for­men aktiv ist: Über­ar­bei­tung der Ver­triebs­stra­te­gie und Ver­trä­ge zur Redu­zie­rung der Kan­ni­ba­li­sie­rung und mar­ken­schä­di­gen­den Über­dis­tri­bu­ti­on

- Ris­kan­te Abhän­gig­kei­ten ver­mei­den heißt Umsät­ze und Ser­vice-Ver­trä­ge mit Augen­maß ver­tei­len

Ob Gaps Ent­schei­dung rich­tig ist, hängt also von der aktu­el­len Pro­blem­la­ge und damit der Ziel­set­zung ab. Einer defi­zi­tä­ren GuV oder dem Abbau von Über­hän­gen kann das dien­lich sein. Einem ver­blass­ten Mar­ken-Stern wird man über den Absatz auf einer gro­ßen Gemischt­wa­ren-Platt­form indes zu kei­ner neu­en Strahl­kraft ver­hel­fen. Die Super­markt-Unter­ho­sen hän­gen Cal­vin Klein heu­te, Jah­re spä­ter noch an.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im Digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­­view- und Pod­­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel