Die Idee, die Lebensdauer eines Produkts absichtlich zu verkürzen, ist nicht neu. Seit hundert Jahren wird geplante qualitative Obsoleszenz von der Industrie systematisch und im großen Stil eingesetzt, um die „Ersatzrate“ von Gebrauchsgegenständen zu erhöhen. In all dieser Zeit geschah das aber immer gegen den Wunsch der Verbraucher.
Neu ist jetzt, dass sich nicht nur die Hersteller, sondern auch die Konsument*innen, eine hohe Ersatzrate wünschen. Die Hersteller haben ein kommerzielles Interesse daran, dass die Konsument*innen sich regelmäßig neue Sachen kaufen, und die Konsument*innen haben Spaß daran, sich regelmäßig neue Sachen zu kaufen. Und deshalb wünschen sie sich, dass die Dinge genauso lang – oder vielmehr genauso kurz – halten, wie sie sie nutzen wollen. Denn dann können sie sie guten Gewissens wegwerfen und durch neue ersetzen.
Die Jeans, die wir tragen, sind ein perfektes Beispiel für ein Produkt, bei dem sich im Gleichschritt mit der gewünschten Nutzungsdauer auch die mögliche Nutzungsdauer immer weiter verkürzt hat:
Der Legende nach wurde die Jeans ursprünglich einmal als Heavy-Duty-Arbeitsbekleidung für Goldgräber konzipiert. So war sie immer das robusteste und haltbarste Element in unserer Alltagsgarderobe – extrem strapazierfähiges Material, mit dickem Garn doppelt genäht und an kritischen Stellen mit Nieten verstärkt, ein extra-dicker Metallreißverschluss und ein nicht angenähter, sondern genieteter Knopf.
Im Laufe ihres langen Lebens durchlief eine derart unverwüstliche Hose von Natur aus verschiedene Phasen: In der Frühphase war sie noch steif und unbequem und unterschied sich mit ihrer einheitlichen Farbe noch kaum von anderen dunkelblauen Hosen. In ihrer Hochphase hingegen war sie geschmeidig geworden, hatte sich dem Körper angepasst und zeigte an den stärker strapazierten Stellen den typischen Farb-Abrieb, der den Reiz des Denim ausmacht und der Jeans ihren Charakter verleiht. In der Spätphase schließlich wurde die Hose zu einem geschichtsträchtigen Liebhaberstück mit Löchern, fadenscheinigen Kanten und dekorativem Flickwerk.
Doch dann kam die Globalisierung und die Jeans-Hersteller verlegten ihre Produktion in Billiglohnländer. Durch die billigen Löhne fielen die Preise für die fertigen Hosen, und die Menschen konnten sich viel öfter neue Jeans leisten als früher. So wurde Anfang der 1980er-Jahre die Langlebigkeit der Goldgräberhose plötzlich zum Problem: Da war es dann nämlich so weit, dass die Menschen ihre Jeans nur noch so selten und so kurz trugen, dass sie gar nicht mehr in den Genuss der oben beschriebenen Hoch- und Spätphase des Kleidungsstücks kamen. So wurde damals die Idee geboren, den Kund*innen die Frühphase zu ersparen, indem man die Hosen bereits vor der Auslieferung in einen getragenen Zustand versetzt.
Der eigentliche Boom des künstlichen Used-Looks kam aber erst mit der Digitalisierung. Denn mit der Vernetzung der Welt fingen die Modetrends an, immer schneller zu wechseln, und man kaufte sich noch öfter neue Kleidung. Und je öfter die Leute sich neue Jeans kauften und je kürzer sie sie trugen, desto heftiger wurde in der Produktion gewaschen, geschmirgelt, gefeilt, gesandstrahlt und gelasert, um neue Jeans immer noch älter aussehen zu lassen. An den Bezeichnungen, mit denen das jeweilige Finish dann beworben wurde, lässt sich die Eskalation ablesen: rinsed, washed, sand-washed, stone-washed, distressed, destroyed …
Selbstverständlich ist die Lebenserwartung einer Hose, die schon halbtot in die Läden kommt, nicht mehr besonders hoch. Denn ein derart chemisch und mechanisch zermürbtes Material sieht nicht nur alt aus, es ist tatsächlich schlagartig gealtert. So war bereits in den Nullerjahren aus einem ursprünglich einmal unverwüstlichen Kleidungsstück tatsächlich eine Klamotte geworden.
Aber das war noch gar nichts. Denn in den Zehnerjahren hat Social Media die psychische und qualitative Kurzlebigkeit unserer Kleidung noch einmal auf ein ganz neues Niveau gebracht. Auf Instagram ist eine Klamotte nämlich nicht erst nach einer Saison, sondern schon nach einem Tag durch (#outfitoftheday). Von daher wäre es eigentlich ideal, wenn sich das Teil – gemeinsam mit der Insta-Story, in der es gepostet wurde – nach 24 Stunden von selbst löschen würde.
Und so machte sich die Jeansindustrie daran, eine Goldgräberhose zu schaffen, die schon nach einmaligem Tragen auseinanderfällt. Das war natürlich nicht einfach. Aber, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg: Denn selbst der robusteste Stoff hat eine Schwachstelle, nämlich die offene Schnittkante. Wenn ein Gewebe nicht „versäubert“ wird, dann fängt es sofort an auszufransen. Also werden viele Jeans jetzt nicht mehr gesäumt, sondern einfach unten abgeschnitten und an verschiedenen Stellen mitten im Stoff aufgeschlitzt. So ist sichergestellt, dass sie ab der ersten Wäsche anfangen sich aufzulösen.
Wenn die ursprüngliche Jeans ein Blechnapf war, also ein Produkt, das man fast unbegrenzt benutzen konnte, dann ist die heutige Jeans ein Pappteller, also ein Einweg-Produkt, das man selbst dann nicht öfter benutzen könnte, wenn man es wollte, weil es sich auflöst, wenn man es wäscht. So haben Konsument*innen und Industrie Hand in Hand aus einem sehr langlebigen Produkt ein sehr kurzlebiges Produkt gemacht.
Der Beitrag ist ein leicht überarbeiteter Auszug aus Carl Tillessens Buch „KONSUM“, das am 22. September (also morgen) bei Harper Collins erscheint (und hier bestellt werden kann). Darin erklärt der Trendanalyst und Berater, „warum wir kaufen, was wir nicht brauchen“. Eine lohnende Lektüre auch für diejenigen, die verkaufen wollen, was andere – zumindest oberflächlich betrachtet – nicht brauchen.