
„Wir setzen jetzt KI für unsere Produktbilder ein!“ Die Pressemitteilung ist raus, das Kommunikationsteam stößt mit Schaumwein an, die Geschäftsführung klatscht sich selbst auf LinkedIn Beifall.
Wer genauer hinhört, dem fällt auf, dass bei diesen Selbstreferenzen zur Innovationskraft das Ausmaß der Verbesserung für Kundinnen mit keinem Wort erklärt wird. Kunden werden gar nicht erst erwähnt, es geht ausschließlich um den eigenen Nabel und die Botschaft, dass wir nun auch (ubiquitäre) Technologie einsetzen. Warum beschränken wir uns aber auf die Freude an der Technologie an sich und nicht darauf, wie sich die Kundenwirksamkeit damit erhöhen lässt? Warum erfreuen wir uns an der Zeitersparnis und produzieren den gleich schlechten Content wie vor der KI-Einführung?
Es ist das Was-Wie-Paradox: Wir fokussieren uns darauf, WAS wir machen, und nicht, WIE wir es machen. Das Problem dabei fasst das Goodharts Law gut zusammen: „Wenn eine Maßnahme zum Ziel wird, ist sie keine gute Maßnahme mehr.“
Und so führen wir Chatbots ein, die Kunden in den Wahnsinn treiben. Wir investieren in immer neue Technologie von ERP bis E‑Commerce, sind aber nicht in der Lage, unserer Kundin die richtige Größe zu empfehlen, unsere Top-Seller vorrätig zu haben oder einen frustfreien Retouren-Prozess zu gestalten. Statt am Datenmodell und der sinnstiftenden Nutzung unserer Kundendaten zu arbeiten, führen wir eine neue CRM-Software ein, um anschließend mit weniger Aufwand dieselben lieblosen Standardangebote per kommunikativem Dynamitfischen zu verteilen. Statt unsere paar Filialen mit gutem, datenbasiertem Visual Merchandising für echten Kundenmehrwert auszustatten, führen wir LED-Screens oder Click-&-Collect ein.
Die Technologie ist egal, zeige mir, wie sie Mehrwert stiftet.
Die Ursache dafür findet man meistens in den organisatorischen Strukturen und den Belohnungssystemen. Unternehmen messen den Erfolg der Aktivitäten an deren Launch und nicht deren Wirkung auf die Kunden und damit das Geschäft. Innovationsabteilungen werden für Showcases belohnt, nicht für Kundenwirksamkeit. Marketing-KPIs honorieren Aufmerksamkeit und Reichweite statt Relevanz.
KI verstärkt dieses Phänomen: tägliche LinkedIn-Posts, wöchentliche CEO-Newsletter, Produktbilder, Kampagnenbilder, Marketingtexte? Die Dämme des Möglichen sind gebrochen, und eine Flut an schlechten Inhalten schnürt uns die Luft ab. Innovationsevangelist Ruppert Bodmeier hat es auf der K5 gesagt: "Die Kosten für guten Content sind im KI-Zeitalter genauso niedrig wie für schlechten." Die Differenzierung liegt nicht im Was, sondern im WIE. Und je niederschwelliger das WAS durch KI wird und alle dieselben Möglichkeiten haben, desto wichtiger wird das WIE.
Du erstellst KI-Kampagnen? Technologie ist egal, zeige, inwiefern deine Kampagne Kundenwert stiftet.
Du führst einen KI-generierten Newsletter ein? Technologie ist egal, zeige, inwiefern dein Newsletter besser ist.
Du führst einen KI-Feed im Shop ein? Technologie ist egal, zeige die Qualität deines Feeds.
Wir brauchen nicht mehr KI, mehr Apps oder mehr Plattformen. Wir brauchen bessere Anwendungen von KI, bessere Apps und bessere Plattformen.
Es geht nicht darum, Innovationen zu bremsen, sondern sie zu durchdenken. Das WIE muss aber Teil der Strategie sein. Statt zu fragen „Was können wir tun?“, muss die Frage lauten: „Wie können wir es so tun, dass es wirklich gut ist?“ Das bedeutet, Qualitätskriterien – vom Erlebnis bis zur Wirkung – bereits in der Konzeptionsphase zu definieren, messbar zu machen und als Erfolgskriterien anzuwenden.
Den Kundennutzen kompromisslos ins Zentrum zu stellen heißt, jede Innovation muss entweder einem konkreten Kundenproblem zugeordnet werden können oder Hypothesen zu völlig neuer Wertstiftung verproben. Nicht: „Wir nutzen KI für Bilder”, sondern: „Wir helfen Kunden dabei, Produkte besser zu verstehen und für sie belohnende Kaufentscheidungen zu treffen (und wir nutzen dafür KI).”
Die Zukunft gehört nicht den Unternehmen mit den meisten Features, sondern denen, die die relevantesten Features am besten umsetzen. In einer Welt, in der jede Technologie schnell kopierbar ist, wird die Art und Weise der Umsetzung zum entscheidenden Differenzierungsfaktor. Es geht nicht um mehr KI oder mehr Tech. Es geht um bessere Anwendungen auf Basis von KI und Tech. Technologie ist immer nur ein nachrangiges Mittel zu einem vorrangigen Zweck.
Stefan Wenzel ist seit mehr als 20 Jahren im digitalen Handel und einer der profiliertesten Köpfe der Branche. Seine Vita beinhaltet unter anderem Stationen als Geschäftsführer für Unternehmen wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tailor Digital. Stefan Wenzel unterstützt Firmen, Gründer und Geschäftsführer als digitaler Beirat, ist regelmäßiger Sprecher auf Fachkonferenzen, Interview- und Podcast-Gast. www.stefanwenzel.com