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Du machst was mit KI? Darum geht es nicht!

Warum produzieren wir heute den gleichen schlechten Content wie vor KI und beschränken uns auf die Freude an der Kostenersparnis und an der Technologie an sich? Wenn es nach Stefan Wenzel geht, dann sollte die Frage eher lauten: Was haben die Kunden davon?
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

„Wir set­zen jetzt KI für unse­re Pro­dukt­bil­der ein!“ Die Pres­se­mit­tei­lung ist raus, das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­team stößt mit Schaum­wein an, die Geschäfts­füh­rung klatscht sich selbst auf Lin­ke­dIn Bei­fall.

Wer genau­er hin­hört, dem fällt auf, dass bei die­sen Selbst­re­fe­ren­zen zur Inno­va­ti­ons­kraft das Aus­maß der Ver­bes­se­rung für Kun­din­nen mit kei­nem Wort erklärt wird. Kun­den wer­den gar nicht erst erwähnt, es geht aus­schließ­lich um den eige­nen Nabel und die Bot­schaft, dass wir nun auch (ubi­qui­tä­re) Tech­no­lo­gie ein­set­zen. War­um beschrän­ken wir uns aber auf die Freu­de an der Tech­no­lo­gie an sich und nicht dar­auf, wie sich die Kun­den­wirk­sam­keit damit erhö­hen lässt? War­um erfreu­en wir uns an der Zeit­er­spar­nis und pro­du­zie­ren den gleich schlech­ten Con­tent wie vor der KI-Ein­füh­rung?

Es ist das Was-Wie-Para­dox: Wir fokus­sie­ren uns dar­auf, WAS wir machen, und nicht, WIE wir es machen. Das Pro­blem dabei fasst das Good­harts Law gut zusam­men: „Wenn eine Maß­nah­me zum Ziel wird, ist sie kei­ne gute Maß­nah­me mehr.“

Und so füh­ren wir Chat­bots ein, die Kun­den in den Wahn­sinn trei­ben. Wir inves­tie­ren in immer neue Tech­no­lo­gie von ERP bis E‑Commerce, sind aber nicht in der Lage, unse­rer Kun­din die rich­ti­ge Grö­ße zu emp­feh­len, unse­re Top-Sel­ler vor­rä­tig zu haben oder einen frust­frei­en Retou­ren-Pro­zess zu gestal­ten. Statt am Daten­mo­dell und der sinn­stif­ten­den Nut­zung unse­rer Kun­den­da­ten zu arbei­ten, füh­ren wir eine neue CRM-Soft­ware ein, um anschlie­ßend mit weni­ger Auf­wand die­sel­ben lieb­lo­sen Stan­dard­an­ge­bo­te per kom­mu­ni­ka­ti­vem Dyna­mit­fi­schen zu ver­tei­len. Statt unse­re paar Filia­len mit gutem, daten­ba­sier­tem Visu­al Mer­chan­di­sing für ech­ten Kun­den­mehr­wert aus­zu­stat­ten, füh­ren wir LED-Screens oder Click-&-Collect ein.

Die Technologie ist egal, zeige mir, wie sie Mehrwert stiftet.

Die Ursa­che dafür fin­det man meis­tens in den orga­ni­sa­to­ri­schen Struk­tu­ren und den Beloh­nungs­sys­te­men. Unter­neh­men mes­sen den Erfolg der Akti­vi­tä­ten an deren Launch und nicht deren Wir­kung auf die Kun­den und damit das Geschäft. Inno­va­ti­ons­ab­tei­lun­gen wer­den für Show­ca­ses belohnt, nicht für Kun­den­wirk­sam­keit. Mar­ke­ting-KPIs hono­rie­ren Auf­merk­sam­keit und Reich­wei­te statt Rele­vanz.

KI ver­stärkt die­ses Phä­no­men: täg­li­che Lin­ke­dIn-Posts, wöchent­li­che CEO-News­let­ter, Pro­dukt­bil­der, Kam­pa­gnen­bil­der, Mar­ke­ting­tex­te? Die Däm­me des Mög­li­chen sind gebro­chen, und eine Flut an schlech­ten Inhal­ten schnürt uns die Luft ab. Inno­va­ti­ons­evan­ge­list Rup­pert Bod­mei­er hat es auf der K5 gesagt: "Die Kos­ten für guten Con­tent sind im KI-Zeit­al­ter genau­so nied­rig wie für schlech­ten." Die Dif­fe­ren­zie­rung liegt nicht im Was, son­dern im WIE. Und je nie­der­schwel­li­ger das WAS durch KI wird und alle die­sel­ben Mög­lich­kei­ten haben, des­to wich­ti­ger wird das WIE.

Du erstellst KI-Kam­pa­gnen? Tech­no­lo­gie ist egal, zei­ge, inwie­fern dei­ne Kam­pa­gne Kun­den­wert stif­tet.

Du führst einen KI-gene­rier­ten News­let­ter ein? Tech­no­lo­gie ist egal, zei­ge, inwie­fern dein News­let­ter bes­ser ist.

Du führst einen KI-Feed im Shop ein? Tech­no­lo­gie ist egal, zei­ge die Qua­li­tät dei­nes Feeds.

Wir brauchen nicht mehr KI, mehr Apps oder mehr Plattformen. Wir brauchen bessere Anwendungen von KI, bessere Apps und bessere Plattformen.

Es geht nicht dar­um, Inno­va­tio­nen zu brem­sen, son­dern sie zu durch­den­ken. Das WIE muss aber Teil der Stra­te­gie sein. Statt zu fra­gen „Was kön­nen wir tun?“, muss die Fra­ge lau­ten: „Wie kön­nen wir es so tun, dass es wirk­lich gut ist?“ Das bedeu­tet, Qua­li­täts­kri­te­ri­en – vom Erleb­nis bis zur Wir­kung – bereits in der Kon­zep­ti­ons­pha­se zu defi­nie­ren, mess­bar zu machen und als Erfolgs­kri­te­ri­en anzu­wen­den.

Den Kun­den­nut­zen kom­pro­miss­los ins Zen­trum zu stel­len heißt, jede Inno­va­ti­on muss ent­we­der einem kon­kre­ten Kun­den­pro­blem zuge­ord­net wer­den kön­nen oder Hypo­the­sen zu völ­lig neu­er Wert­stif­tung ver­pro­ben. Nicht: „Wir nut­zen KI für Bil­der”, son­dern: „Wir hel­fen Kun­den dabei, Pro­duk­te bes­ser zu ver­ste­hen und für sie beloh­nen­de Kauf­ent­schei­dun­gen zu tref­fen (und wir nut­zen dafür KI).”

Die Zukunft gehört nicht den Unter­neh­men mit den meis­ten Fea­tures, son­dern denen, die die rele­van­tes­ten Fea­tures am bes­ten umset­zen. In einer Welt, in der jede Tech­no­lo­gie schnell kopier­bar ist, wird die Art und Wei­se der Umset­zung zum ent­schei­den­den Dif­fe­ren­zie­rungs­fak­tor. Es geht nicht um mehr KI oder mehr Tech. Es geht um bes­se­re Anwen­dun­gen auf Basis von KI und Tech. Tech­no­lo­gie ist immer nur ein nach­ran­gi­ges Mit­tel zu einem vor­ran­gi­gen Zweck.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­­­view- und Pod­­­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel