Früher gab es den Winterschlussverkauf. Der war Ende Januar, gesetzlich geregelt und diente dem Handel zur Lagerräumung. Jetzt gibt es die Black Friday Week. Die startet heute, Mitte November, ist von Amazon initiiert und ein Instrument im Verdrängungswettbewerb.
Die Techies übernehmen nicht nur die Unternehmen, sondern auch den Kalender. Und was früher die Cebit war, ist heute der Deutsche Handelskongress. Der fand diese Woche in Berlin statt. Die Ausstellung voller IT-Dienstleister. Auf der großen Bühne Top Executives von Google und IBM. Im Programm Themen wie “Die Digitalisierung der Value Chain”, „Connected Retail“ oder – ein besonders schönes Beispiel für Buzzword Bingo – „Building a purpose driven ecosystem, powered by data“. Und wo abends auf der Gala ein sympathischer Lidl-Filialleiter als das “Gesicht des Handels” ausgezeichnet wurde, ging es am Nachmittag um “Roboter als Verkäufer”.
Das Gesicht des Handels wandelt sich tatsächlich. Und wenn die Konjunktur sich demnächst womöglich eintrübt, wird sich diese Dynamik beschleunigen. Auch wenn die Modeleute davon nicht allzu viel mitbekommen haben – der deutsche Einzelhandel erlebt eine historische Hausse. Die Branche wächst seit zehn Jahren, in 2019 nach HDE-Einschätzung erneut um voraussichtlich 3 Prozent. Die Binnennachfrage hat sich zu einer Stütze der Konjunktur entwickelt und Deutschland im letzten Quartal vor einem Abgleiten in die Rezession bewahrt. Der Wirtschaftsminister ernannte die Einzelhändler bei seinem Auftritt auf dem Kongress denn auch nur halb im Spaß zu “Helden der Wirtschaft”. Das klang ein wenig nach DDR-Orden. Vielleicht ist es auch nur Saar-Sprech. Altmaier stammt ja wie Honecker aus dem Saarland.
Der Markt wächst also. Zugleich verändert er sich. 29.000 Geschäfte sind in den vergangenen Jahren geschlossen worden, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Die Schere zwischen Groß und Klein ist weiter auseinander gegangen, die Digitalen haben den Stationären Marktanteile abgenommen. Im Modehandel ist dieser Strukturwandel besonders dramatisch. Und er könnte sich beschleunigen, wenn eintritt, was der gerade erschienene "State of Fashion"-Report von BoF und McKinsey feststellt. Da ist für 2020 von Unsicherheit und Besorgnis die Rede, von Volatilität und einer zunehmenden Polarisierung von Gewinner-Unternehmen und Verlierer-Firmen.
Für das kommende Jahr erwarten die Unternehmen laut der Studie eine Verlangsamung des Wachstums auf 3 bis 4 Prozent. In McKinsey-Land ist so eine Verlangsamung natürlich ein Drama. Andernorts ist es immer noch ein Wachstum, das viele gerne hätten. Aber die Dynamik lässt nach. Was den Spielraum für Anpassungen verringert. Ganz oben auf der To do-Agenda steht nach der Studie erstmals das Thema Sustainability. Und hochrelevant bleibt natürlich die Digitalisierung, als Chance wie als Herausforderung.
Dass die Technologie bisweilen echte Herausforderungen mit sich bringt, zeigte sich nicht zuletzt beim Deutschen Handelskongress. Als das Publikum bei der Award-Gala über den Gewinner des Innovationspreises live abstimmen sollte (zur Auswahl standen – natürlich – zwei App-basierte Start-ups), brauchte es gefühlte zehn Minuten, bis alle sich auf ihrem Handy beim Polling Tool Slido eingeloggt hatten. Moderatorin Judith Rakers lächelte die geräuschvolle Unterbrechung der Veranstaltung gekonnt weg.