Es ist kein Zufall, dass sich die Krisensymptome bei den klassischen Katalogversendern häufen. Das Internet hat die Wettbewerbssituation für die Handelsriesen radikal geändert, sie werden links und rechts von Pure Playern und originär stationären Multichannel-Anbietern überholt und tun sich schwer damit, ihre Strukturen auf die Anforderungen des schnellen und flexiblen Onlinegeschäfts einzustellen. Neckermann ist nur die spektakuläre Spitzenmeldung. Die Einstellung des Katalogs und des eigenen Textilgeschäfts wird kurzfristig Kosteneinsparungen bringen, die das Frankfurter Traditionsunternehmen als interessantes Übernahmeobjekt erscheinen lassen werden. Finanzinvestor Sun ist Firmenhändler, nicht Einzelhändler, und hat einzig das Interesse, sein Frankfurter Investment baldmöglichst zu versilbern. Dass das mit Katalogversendern nicht so einfach geht, zeigen die Schwierigkeiten, die PPR mit dem schon lange geplanten Verkauf seiner Versandhandelssparte Redcats hat.
Was der radikale Schritt langfristig für den Einzelhändler Neckermann bedeutet, wird man sehen. Bei einem Pure Player wie Amazon sind die Kunden gewohnt, sich online zu informieren und online zu kaufen. Bei Neckermann wird ein Gutteil der Kunden über den Katalog gekommen sein. Wenn er jetzt wegfällt, kommen sie vielleicht gar nicht mehr. Quelle lässt grüßen. Es wird sehr darauf ankommen, inwieweit es Neckermann gelingt, für Anstöße zu sorgen. Aber das kostet ebenfalls viel Geld.
Mode nur noch über Marktplatz-Partner anzubieten, wie Neckermann das vorhat, scheint betriebswirtschaftlich zunächst ebenfalls ganz verführerisch. Die Frage ist, welche Vorteile Neckermann gegenüber Plattformen wie Ebay und Amazon ausspielen kann. Auch im stationären Handel haben Anbieter immer mal wieder versucht, Risiken und Kapitalbindung über großräumige Flächenvermietung und Kommissionsgeschäfte zu minimieren. Dyckhoff war seinerzeit so ein Not-Fall. Die Älteren wissen, was daraus geworden ist. Die Jüngeren kennen Dyckhoff gar nicht mehr.
Die Neuaufstellung, die die Otto Group für ihre Töchter Otto, Schwab und Baur anstrebt, passt ins Bild. Die Hamburger bewegen sich im selben Markt. Otto ist anders als der unter Karstadt und Arcandor zugrunde gerichtete Neckermann freilich ein gut geführtes und solides Unternehmen, das den Change-Prozess schaffen wird. Auch wenn der Betriebsrat schäumt.
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Apropos Betriebsrat: Diese Woche war Aldi-Woche. Die Vorwürfe, die der Spiegel formuliert: Kontrollwahn und systematische Bespitzelung von Mitarbeitern und Kunden. Am Montag legte die Süddeutsche Zeitung mit einer Geschichte über die Behinderung von Betriebsräten und den problematischen Einsatz von Testkäufern nach.
Ein bisschen künstlich ist die Aufregung schon. Man muss kein Aldi-Kenner sein, um zu ahnen, dass bei dem Discounter manche Uhren anders ticken. So kann man darüber streiten, ob das Ganze eine Spiegel-Titelgeschichte wert war. Vielleicht war das auch nur eine Replik auf den ungewohnt freundlichen Aldi-Titel der Kollegen vom ManagerMagazin neulich, das im selben Verlag wie Der Spiegel erscheint. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Hamburger Blattmacher vom Quoten-Erfolg der Marken-Dokumentationen in der ARD leiten haben lassen. Sonntagabend hat Günther Jauch mit dem Aldi-Thema ebenfalls überdurchschnittlich gepunktet. Eine schöne Werbung war die Berichterstattung auf jeden Fall für das Enthüllungs-Buch des ehemaligen Aldi-Managers Andreas Straub.
Ein paar Flecken bleiben auf der blauen Weste sicher zurück. Nachwuchskräfte werden sich jetzt wahrscheinlich zweimal überlegen, ob sie eine Karriere bei dem Discounter anstreben sollen. Vom Einkaufen bei Aldi wird der Skandal aber wahrscheinlich kaum jemanden abhalten. Positiv könnte sein, dass die unangenehme Öffentlichkeit die verschlossenen Albrechts dazu bringt, über ihren Umgang mit derselben nachzudenken. Das hat Lidl auch hinter sich.
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Überraschend die Wende bei Schiesser, ein anderes deutsches Traditionsunternehmen. Insolvenzverwalter Volker Grub hatte das Husarenstück versucht, den Pleite gegangenen Wäschehersteller an der Börse zu verkaufen. Jetzt geht Schiesser nach Israel statt an die Börse. Den Gläubigern wird’s recht sein, denn so erhalten sie 100% ihrer Forderungen zurück, eine spektakuläre Quote, die bei einem IPO wahrscheinlich nicht drin gewesen wäre. Und für das Unternehmen Schiesser ist die Übernahme durch einen strategischen Investor ganz sicher auch besser. Freilich sollte man die Beteuerungen, dass in Radolfzell alles beim Alten bleibe, nicht allzu Ernst nehmen. Für die Gläubiger ist es ein Happy End, für die Mitarbeiter ein Beginning: Mit dem fünf Mal größeren Wäscheproduzenten Delta Galil im Rücken kann Schiesser wieder positiv in die Zukunft blicken.
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Und nächste Woche?
Steigen die Hauptversammlungen bei Adidas und Ludwig Beck. Legen Yoox, Tom Tailor und Douglas Quartalsberichte vor. Findet in Paris der Global Department Store Summit und in Heidelberg/Schwetzingen das Forum der TextilWirtschaft statt.
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