„The Eagle has landed“, twitterte Tarek Müller um 14.58 Uhr. Vor 45 Jahren ging diese Meldung schon einmal um die Welt. Als Apollo 11 ihr Ziel erreichte. Am 5. Mai 2014 fand nun also Ottos Mondlandung statt – Benjamin Otto und Tarek Müller lüfteten den Schleier um das geheimnisvolle „Projekt Collins“.
Dieses hatte die Web-Welt über Monate in Atem gehalten. Und nötigt den einschlägigen Beobachtern jetzt zumindest Respekt ab. „Wow! Da is sie, die eierlegende Wollmilchsau“, twitterte einer orthographisch salopp. „Ist das der neue Zalando-Schreck? Interessant ist das Konzept allemal“ ein anderer. Selbst der notorische Otto-Runterschreiber Jochen Krisch findet anerkennende Wortes: „Was Ottos Projekt Collins vorgestellt hat, ist dann doch weitaus mächtiger als erwartet“, kommentiert er auf Exciting Commerce. Das Handelsblatt hob den „neuen Otto-Motor“ sogar auf den Titel.
Die Erwartungen waren hoch, und sie sind nicht enttäuscht worden. Jedenfalls fürs Erste. About you, wie das zentrale Projekt von Collins heißt, ist nicht einfach nur ein weiterer Online-Shop. Sondern die Plattform soll dank eines arrondierenden Angebotes von Anwendungen zu einer zentralen Anlaufstelle für Mode im Web werden. Stichwort Open Commerce: jeder, der eine gute Idee für eine Mode-App hat, soll diese auf About you platzieren und mitverdienen können. Otto bietet dazu sogar technische Hilfestellung, auch ein Inkubatorprogramm, also finanzielle Unterstützung, ist vorgesehen. Es gehe um „die Demokratisierung des E‑Commerce“, hat Collins-Geschäftsführer Müller beim Launch-Event in Hamburg etwas pathetisch verkündet. Nebenbei sorgen nützliche Anwendungen und interessanter Content für Traffic und werten Ottos Mainstream-Sortiment mit Nischenprodukten und Spezialangeboten auf, ohne eigenes Zutun und Risiko. Der andere revolutionäre Ansatz von About you ist Customization: Angebote und Inhalte richten sich an Nachfrage und Suchverhalten der User aus.
140 Mitarbeiter haben über Monate an dem Konzept getüftelt. Otto-Kapital (ein dreistelliger Millionenbetrag) und Otto-Know-how sind in Collins geflossen. Der Versandhandelsriese war auch im Einkauf behilflich. Welches Start-up verfügt schon über ein Sortiment mit 50.000 Artikeln? Und Kommissionsware von der Industrie bekommt auch nicht jede Neugründung. Bezeichnend ist übrigens, dass weder Benjamin Otto (38) und Tarek Müller (25) noch Sebastian Betz (23) oder Hannes Wiese (32) einen Handels-Background haben. Der Einzelhandel der Zukunft wird von Techies, Beratern und Finanziers gestaltet, nicht mehr von Einzelhändlern.
Wie wichtig man bei Otto das Projekt nimmt, zeigte die Tatsache, dass zum Launch Event nahezu der gesamte Vorstand inklusive Michael Otto und ECE-Chef Alexander Otto in Altona angetreten war. Es ist schließlich auch ein Prestige-Projekt. Eine Innovation unter vielen in der Otto Group, wie Vorstand Rainer Hillebrand beschwichtigte, und zugleich eine ganz besondere. Denn es ist das Projekt von Gründer-Enkel Benjamin Otto, die FAZ schrieb von seiner „Bewährungsprobe“. Otto bemühte sich in allen Interviews nach Kräften, diesen Ball flach zu halten.
Die Premiere ist gelungen, About you zweifellos ein smartes Unterfangen. Die Frage ist jetzt, wie die Plattform angenommen wird. Werden die kreativen Ideen für Apps sprudeln wie gewünscht? Und werden die Kunden kommen und kaufen? Das Sortiment ist gepflegter Mainstream, zweifellos attraktiv dargeboten. Wird das reichen? Man wird sehen. Otto wird dafür sorgen, dass About you die Zeit erhält, die es braucht, um sich zu entwickeln. Wenigstens bis 2016. Dann läuft Hans-Otto Schraders Vertrag als Vorstandsvorsitzender aus.
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Und sonst?
… geht Zalando angeblich im Herbst an die Börse. Der Forum-Preis kam leider zu früh für Gewinnmitnahmen, liebe Ex-Kollegen!
… übernimmt Tommy Hilfiger die Schirmherrschaft über P&Cs Designer for Tomorrow-Initiative. Der Meister kommt auch nach Berlin. Die Düsseldorfer werden im Sommer allen anderen die Schau stehlen.
… müssen Dolce und Gabbana wegen eines Steuervergehens in den Knast (sofern die Berufung nichts anderes ergibt). Nachdem Silvio Berlusconi seine Strafe mit Sozialdienst im Altersheim büßen wird, sollen die beiden Designer den chinesischen Fabrikarbeiterinnen in Prato beim Putzen helfen. Letzteres ist freilich ein unbestätigtes Gerücht.
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