"Siems Luckwaldt hat mit seinen Äußerungen viel Zuspruch gefunden. Doch worum geht es im Kern? Dass Journalisten wie Suzy Menkes Bloggern Fähigkeiten absprechen, um ihr eigenes Terrain zu zementieren erscheint wenig verwunderlich. Einige TV-Journalisten finden Print-Redakteure arrogant. Manche Print-Redakteure wiederum finden Fernsehmacher oberflächlich. Einige Magazin-Mitarbeiter beginnen nun, selbst zu bloggen. Was sind sie? Qualitätsjournalisten? Blogger?
Aus meiner Warte sollte ein Multiplikator stets professionell agieren – ob im Fernsehen, auf Papier oder in seinem Blog. Jeder, der eine relevante Leserschaft genießt, ist ein solcher Multiplikator und besitzt zwei Dinge: Einfluss und Verantwortung. Ich denke, es geht in der Diskussion vor allem darum, dass Menschen, die den Multiplikatoren-Job jahrelang ausgeübt haben, bei neuen Multiplikatoren ebendiese Verantwortung vermissen.
Doch wie soll ein Modeblogger Vorbilder aufbauen, wenn er die Spielregeln des Modejournalismus kennenlernt? Ich begegne kaum einem Journalisten, der auf die teuren Inhalte der Goodiebag verzichtet. Und ich kenne kaum einen Redakteur, der die Einladung in die erste Reihe ausschlägt. Warum sollte ein Blogger dies tun? Um seinem Journalistenvorbild Achtung zu erweisen?
Das Problem geht viel tiefer. Bloggern wird Unabhängigkeit und Authentizität zugesprochen. Und genau diese Werte funktionieren in der Mode-Blogosphäre nicht (was übrigens in anderen produktorientierten Blogosphären ähnlich ist). Über die Jahre haben sich im klassischen Mode-Journalismus nämlich Abhängigkeiten entwickelt, die wenig mit dem von Stefan Gessulat angesprochenen Qualitätsjournalismus zu tun haben.
Zahlreiche PR-Agenturen und Unternehmen überhäufen die fest angestellten Moderedakteure der Magazine mit Geschenken, damit diese darüber schreiben. Regelmäßig kennen die Agenturen auch die Kleidergrößen der Redakteurinnen. Warum sollten sie also in der Blogger-PR anders vorgehen? Jedes Mal, wenn ich einen Shopping-Gutschein bei einem Pressetermin ablehne, schauen mich die Agenturvertreter verwundert an. Zahlreiche Kollegen verschiedener Mediengattungen stecken den Gutschein ein – Print, TV, Radio, die 200-Euro-Gutscheinkarte wird eingelöst. Aus meiner Warte ist das Bestechung. Bei mir rufen Agenturen an, die mich nach meiner Schuhgröße fragen. Und wenn ich dann erwidere: Sendet mir lieber einen tollen exklusiven Interviewpartner, dann ernte ich Unverständnis. Denn das ist nicht der Auftrag, den die Agentur ausübt.
Es gibt also keinen Grund, ausgerechnet Blogger als Schmarotzer zu bezeichnen. Die Branche hat ein anderes Problem: Unternehmen und Marken sind mächtiger als deren Multiplikatoren. Und durch die Blogger werden diese Machtverhältnisse nun offensichtlich.
Bei den Magazinen ließ es sich noch gut verstecken, dass vorwiegend über die Firmen geschrieben wird, die auch eine Anzeige platzieren. Wenn nun Blogger auf ein Seeding-Event eingeladen werden und plötzlich zehn reichweitenstarke Blogs über dieselbe Bloggerveranstaltung und Kollektionsvorstellung schreiben, dann ärgert das die Journaille: Das System, wann warum worüber geschrieben wird, wird auf einmal transparent. Rechts steht die Anzeige, links der zugehörige redaktionelle Positiv-Text.
Im so genannten Qualitätsjournalismus gibt es Prinzipien: Die zweite Quelle, die Unbestechlichkeit oder den Informantenschutz. Werden diese von angestellten Journalisten in der Mode gelebt? Ich möchte auf einige Aussagen von Stefan Gessulat näher eingehen.
„Natürlich genügen die meisten Blogger nicht den Standards, die für Qualitätsjournalismus gelten“, schreibt der ehemalige Chefredakteur. Diese Aussage muss man stark relativieren.
Zahlreiche Magazine genügen bei weitem nicht den Standards für Qualitätsjournalismus und verzichten auf Trennung von Anzeigen und Inhalt. Kritische Berichterstattung? Fehlanzeige. Wer nur über Positives schreibt, braucht sich nicht mit Produktions-Skandalen in Bangladesch oder China beschäftigen. Pressereisen, auf die Journalisten eingeladen werden, sind in den einschlägigen Magazinen nicht als solche gekennzeichnet. Also genügen meiner Meinung nach viel mehr Blogger den Standards für Qualitätsjournalismus, wenn sie offen schreiben, dass sie einer Einladung gefolgt sind, bei der Hotel, Anreise und Verkostung vom einladenden Unternehmen übernommen wurden.
„Blogger haben eine völlig neue Medien-Kategorie begründet (…) Der klassische Rückschluss analoger Medien ‚viel Text = viel Qualität‘ taugt hier gar nichts“, schreibt Gessulat. Ich behaupte: Blogger haben keine neue Medien-Kategorie begründet. Seit Bestehen des Internets gibt es Inhalte im Überfluss. Wikipedia etwa, ein Quell für zahlreiche Modeinformationen, hat ebenso keine neue Medien-Kategorie gegründet. Wären Modemagazine mit dem Aufbau ihrer redaktionellen Onlineauftritte nicht so langsam gewesen, nähmen sie heute auch einen ganz anderen Stellenwert in der Online-Welt ein. Wir erinnern uns: Die deutsche Instyle war bis Mitte 2010 eine statische Abo-Seite. Da schrieben sich Modeblogger im Netz schon die Finger wund.
Apropos Schreiben. Es gibt zahlreiche Blogs, die weitaus mehr Text liefern als dies in Modegazetten der Fall ist. Hier ist zu unterscheiden, welche Modeblogs in der Analyse denn gemeint sind: Blogs, die sich mit Kollektionen und Hintergründen auseinandersetzen wie etwa Horstson.de, Modepilot.de oder Lesmads.de – oder eben reine Styleblogs, bei denen das persönliche Outfit im Vordergrund steht. Es erscheint mir wichtig, sich sehr tief mit der Blogosphäre zu befassen und zu differenzieren.
„Blogs demokratisieren den Meinungsbildungsprozess“, schreibt Gessulat. Ich denke, das trifft nur auf ganz wenige Beispiele zu und bin hier nahe am Urteil von Siems Luckwaldt, der sagt: „Die Blogs werden den Modejournalismus nicht zu einer Renaissance führen.” Der Grund ist einfach: Sobald Blogger Anfragen erhalten und den Wert ihrer Leserschaft erkennen, beginnen diese zwangsläufig, sich nach den Spielregeln der Industrie zu richten. „Schreibe (gut) über mich, dann lade ich dich ein.“
Das Modell des Modemarkenmaskottchen-Journalisten wird auf den Blogger erfolgreich übertragen. Verlässt ein Blogger dieses Spiel und schreibt kritisch, dann lädt das werbetreibende Unternehmen einfach einen anderen ein oder wirbt mit einem nicht gekennzeichneten Advertorial auf einem anderen Blog. Dies ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum bei den Äußerungen von Siems Luckwaldt so viel Enttäuschung mitschwingt. Anstatt der Branche neuen Wind einzuhauchen, wird der Meinungsbildungsprozess massiver denn je von jenen gesteuert, die das entsprechende Budget hinterlegen.
„Blogger leisten etwas Wichtiges, in dem sie eine Bühne für günstige Mode schaffen – zum Beispiel für Primark“, schreibt Gessulat. Diese Aussage verstört mich sehr. Klassische Medien berichten regelmäßig über Schnelldreher wie Primark, Zara und H&M. Seltenst finde ich kritische Berichte oder Blogposts, die erklären können, woher die Billiglabels ihre Ware beziehen. Hier versagt die Blogosphäre. Berichte über Produktionsbedingungen von T‑Shirts für drei Euro gibt es in keinem Mode-Medium. Diese Aufgabe wird von Objekten übernommen, die viel Abstand zum modischen Kreativprozess haben: Von Spiegel, Focus oder Stern – Print wie online. Das nächste Beispiel, das aufgrund seines Markteintritts ein erhebliches Werbevolumen mitbringen wird und in Magazinen wie bei Bloggern gefeiert werden wird, heißt meiner Einschätzung nach Forever 21. Bei dem Filialisten gibt es eine Jeans für rund zehn Euro.
„Blogger können gut gemachte redaktionelle Editorials natürlich nicht ersetzen“, schreibt Gessulat. Ich behaupte: Modeblogger haben verstaubte redaktionelle Editorials längst abgelöst. Und daher sitzen sie nun auch in der ersten Reihe.
Blogger sind nicht besser als Modejournalisten. Das können sie auch gar nicht sein: Sie haben schlechte Vorbilder. Aber sie sind auch bei weitem nicht schlechter. Nur können Sie aufgrund der skizzierten Machtverhältnisse eines nicht auslösen: Eine Revolution."
Bitte lesen Sie dazu auch: Krähen gegen Pfauen: Die Modemedien-Revolution geht weiter