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Online handeln (1): Wie das Internet den Modevertrieb revolutioniert. “Was, wenn es einmal 50 Prozent sind?”

Mit sei­ner jüngs­ten Pro­gno­se zur Ent­wick­lung des Distanz­han­dels dürf­te der Ver­sand­han­dels­ver­band (BVH) all jene bestä­ti­gen, die der Online-Revo­lu­ti­on das Wort reden. Der BVH rech­net für die­ses Jahr mit einem Gesamt­um­satz von rund 38 Mil­li­ar­den Euro für die Bran­che, das sind 11,8 Pro­zent mehr als noch 2011, und der Ver­band hat sei­ne Pro­gno­se damit deut­lich nach oben kor­ri­giert. Dass sich der Begriff ‘inter­ak­ti­ver Han­del’, den der BVH benutzt, durch­setzt, hof­fen wir neben­bei bemerkt mal nicht. Denn inter­ak­tiv ist Han­del ja immer.

Trei­ber des Bran­chen­wachs­tums ist der E‑Commerce, der in die­sem Jahr um 26,5 Pro­zent wach­sen soll und mitt­ler­wei­le einen Anteil von 72 Pro­zent am gesam­ten Distanz­han­dels­um­satz in Deutsch­land hat. Der Rest ist Kata­log. Der Distanz­han­del dürf­te sei­nen Markt­an­teil am gesam­ten Ein­zel­han­del damit auf an die 9 Pro­zent stei­gern.

Beklei­dung, Tex­ti­li­en und Schu­he sind übri­gens die umsatz­stärks­te Waren­grup­pe im Ver­sand, und ent­ge­gen dem Vor­ur­teil, man müs­se Mode anfas­sen und anpro­bie­ren und also im Laden kau­fen, hat die­ser Ver­triebs­weg seit jeher einen weit über­durch­schnitt­li­chen Anteil am Tex­til­han­del. Der lag über vie­le, vie­le Jah­re bei mehr oder weni­ger um die 12 Pro­zent. Durch die Online-Dyna­mik hat sich der Markt­an­teil der Ver­sen­der in kur­zer Zeit auf geschätz­te 15 Pro­zent ent­wi­ckelt. 2011 waren das nach BHV-Berech­nun­gen 12,8 Mrd. Euro. Und auch wenn die E‑Fa­shion-Wachs­tums­dy­na­mik seit dem ver­gan­ge­nen Jahr nach­lässt, gibt es nicht weni­ge Exper­ten, die mit­tel­fris­tig 20 Pro­zent für rea­lis­tisch hal­ten.

“Was, wenn es irgend­wann ein­mal 50 Pro­zent sind?” frag­te mich neu­lich ein durch­aus ernst­zu­neh­men­der Gesprächs­part­ner. Ist das so undenk­bar in einem Sze­na­rio, wo Beklei­dung immer mehr zur Com­mo­di­ty wird? Wo beim Ein­kauf vor allem Preis und Con­ve­ni­ence zäh­len? Wo Ein­kaufs­tou­ris­mus schon aus öko­lo­gi­schen Grün­den zuneh­mend frag­wür­dig wird? Wo die Tech­no­lo­gie eine Kun­den­an­spra­che und Per­so­na­li­sie­rung von Ange­bo­ten ermög­licht, von der der zuneh­mend per­so­nalar­me sta­tio­nä­re Han­del nur träu­men kann? Wo in sozia­len Netz­wer­ken neue Geschäfts­mo­del­le ent­ste­hen, die in kür­zes­ter Zeit eine unge­ahn­te Dyna­mik ent­fal­ten kön­nen? Wo Bran­chen­gren­zen zuneh­mend ver­wi­schen und der Zugang zu einer Ziel­grup­pe zum alles ent­schei­den­den Erfolgs­fak­tor wird? Wo der Über­fluss an Ange­bot Über­druss am Kon­sum und womög­lich eine Rück­be­sin­nung auf das, was wirk­lich not­wen­dig ist, gene­riert?

Was bedeu­tet das für die Art und Wei­se, wie das Geschäft mit Mode heu­te läuft? Für die Unter­neh­men? Für den Wett­be­werb? Für alle, die in die­ser Bran­che arbei­ten und ihr Geld ver­die­nen?

Die Geschich­te lehrt, dass so man­che Revo­lu­ti­on anders ver­läuft, als ihre Vor­den­ker es pro­phe­zei­ten. Aber dass die Welt des Ein­zel­han­dels sich in den kom­men­den zehn Jah­ren stär­ker ver­än­dern wird als in den zurück­lie­gen­den 30 Jah­ren, ist sehr wahr­schein­lich. „Vor dem Hin­ter­grund von ein paar Tau­send Jah­ren Mensch­heits­ge­schich­te befin­det sich E‑Commerce erst ein paar Minu­ten nach dem Urknall“, zitier­te der Spie­gel kürz­lich Otto-Vor­stand Rai­ner Hil­le­brand. „Kei­ner weiß, was da auf uns zukom­men wird.“ Gehen wir mal davon aus, dass man bei Otto noch am ehes­ten eine Ahnung davon hat.

Fest steht: Vom Inter­net gehen aktu­ell und in nächs­ter Zukunft die stärks­ten Inno­va­tio­nen und Impul­se für das Ein­zel­han­dels­ge­schäft aus. Da ist eine Revo­lu­ti­on im Gan­ge, die die Orga­ni­sa­tio­nen in den Unter­neh­men wie die Struk­tu­ren des Wett­be­werbs ins­ge­samt ver­än­dern wird. Das Mode­busi­ness ist auf die­se Revo­lu­ti­on nur unzu­rei­chend vor­be­rei­tet. Das öff­net neu­en Play­ern Tür und Tor. Wir erle­ben eine Grün­der­zeit; das Inter­net bringt neu­en Wett­be­werb. Gleich­zei­tig birgt es neue Chan­cen und Mög­lich­kei­ten. Wer Mode ver­kauft, muss sich jeden­falls zwin­gend mit dem The­ma beschäf­ti­gen.

Pro­fa­shio­nals beschäf­tigt sich seit jeher inten­siv mit die­sen Ent­wick­lun­gen. In einer losen Rei­he möch­te ich in den kom­men­den zwei, drei Wochen ein paar Beob­ach­tun­gen zusam­men­tra­gen und ein­ord­nen. Wahr­schein­lich nicht viel Neu­es für Insi­der, aber in der Gesamt­schau viel­leicht trotz­dem ganz span­nend. Das Gan­ze hat sie­ben Fol­gen. Die Head­line „Online han­deln“ ist – für alle, die es nicht gemerkt haben soll­ten – glei­cher­ma­ßen deskrip­tiv wie appel­la­tiv gemeint.

Fol­ge 1: Was, wenn es ein­mal 50% sind?

Fol­ge 2: Neue Nach­barn im Glo­bal Vil­la­ge

Fol­ge 3: Der Preis ist heiß

Fol­ge 4: Der Sarg­na­gel für den Land-Han­del

Fol­ge 5: Der Gene­ra­list gewinnt. Die Spe­zia­lis­ten auch.

Fol­ge 6: Vom Wett­be­werb auf den ‑Stu­fen zur Kon­kur­renz der Wert­schöp­fungs­ket­ten

Fol­ge 7: Com­mer­ce, Con­tent und Com­mu­ni­ty sind die Inno­va­ti­ons­trei­ber

(Foto: Goog­le-Daten­cen­ter)