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Corona-Tagebuch: Das Ende von Mailand und Paris?

XSams­tag, 23. Mai. Das kommt zur rech­ten Zeit: Dol­ce & Gab­ba­na brin­gen einen eige­nen Wein auf den Markt, einen fruch­ti­gen Rosé aus der sizi­lia­ni­schen Kel­le­rei Don­na­fu­ga­ta. Ein­mal mehr stel­len Mode­leu­te unter Beweis, wie schnell sie aktu­el­le Trends auf­grei­fen – erhöh­ter Alko­hol­kon­sum ist defi­ni­tiv eine Neben­wir­kung der Coro­na-Pan­de­mie. Die Desi­gner wol­len „Rosa“ als posi­ti­ve Nach­richt von Gesel­lig­keit und Neu­an­fang ver­stan­den sehen. Und es funk­tio­niert! Schaut man nur tief genug ins Glas, ist die Lage tat­säch­lich ziem­lich rosig.

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Sonn­tag, 24. Mai. Ama­zon ver­schiebt den Prime Day von Juli auf Sep­tem­ber. Das berich­te­te das Wall Street Jour­nal die­se Woche. Hat Jeff Bezos etwa die Angst­schreie der Ein­zel­händ­ler wegen der nach der Coro­na-Pau­se zu erwar­ten­den Preis­schlacht erhört? Eher nicht. Das glo­ba­le Schnäpp­chen-Event wür­de im Som­mer die ange­spann­ten Kapa­zi­tä­ten über­for­dern, heißt es. Ama­zon kommt mit dem Aus­lie­fern zur­zeit auch ohne die gro­ße Preis­trom­mel kaum hin­ter­her.

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Mon­tag, 25. Mai. „Wir haben Pro­me­theus gereizt, und wir haben Pan beer­digt.“ Kryp­ti­scher als Ales­san­dro Miche­le hat noch kei­ner die Absa­ge einer Moden­schau begrün­det. In einem Insta­gram-Ein­trag, der mit einem sei­ten­lan­gen Aus­zug aus Miche­les Qua­ran­tä­ne-Tage­buch beginnt, erklärt der Guc­ci-Krea­ti­ve weit­schwei­fig, war­um er nicht mehr an die über­hol­ten Bran­chen­ri­tua­le gebun­den sein will: „Ich emp­fin­de das Bedürf­nis nach einer ande­ren Zeit, befreit von auf­er­leg­ten Fris­ten, die die Krea­ti­vi­tät zu demü­ti­gen dro­hen. Es ist ein küh­ner, aber not­wen­di­ger Grün­dungs­akt, der dar­auf abzielt, ein neu­es krea­ti­ves Uni­ver­sum auf­zu­bau­en. Ich möch­te eine Tak­tung zurück­ge­win­nen, die mei­ner expres­si­ven Beru­fung näher kommt. Unre­gel­mä­ßi­ge, freu­di­ge und abso­lut freie Kapi­tel, die geschrie­ben wer­den, indem Regeln gebro­chen und Gen­re­gren­zen ver­wischt wer­den, die sich aus neu­en Räu­men, Sprach­codes und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­for­men spei­sen.“ Miche­les Spra­che ist so schwüls­tig wie sei­ne Mode, und die Schreib­ma­schi­nen­op­tik erweckt den Ein­druck, als habe er den Text bereits in den 70er Jah­ren ver­fasst. Immer­hin kommt er ohne Tipp-ex aus. Respekt!

Doch im Ernst: Miche­les Tage­buch­ein­trag wird die Alarm­glo­cken bei den Fashion Week-Ver­an­stal­tern in Mai­land und Paris nun noch schril­ler läu­ten las­sen. Zuletzt haben sich Saint Lau­rent und Gor­gio Arma­ni bereits publi­kums­wirk­sam von den Schau­en abge­mel­det. Auch hier lie­fert die Coro­na-Zäsur den Anlass, Din­ge grund­sätz­lich zu hin­ter­fra­gen. Und gege­be­nen­falls zu ändern. Es ist des­halb nicht aus­zu­schlie­ßen, dass die­se Kri­se den Anfang vom Ende des Schau­en­zir­kus mar­kiert, wie wir ihn kann­ten.

Streng genom­men han­delt es sich ja auch um eine ana­chro­nis­ti­sche Ver­an­stal­tung. Was ganz frü­her mal eine Klei­der-Schau für gut betuch­te Kun­din­nen war, die sich die Model­le anschlie­ßend auf den Leib schnei­dern lie­ßen, ist über die Jahr­zehn­te zu einem Medi­en­spek­ta­kel gewor­den, das in ers­ter Linie Mar­ke­ting­zwe­cken dient und allen­falls für Kopis­ten aus der Indus­trie noch als Inspi­ra­ti­on und Trend­in­for­ma­ti­on taugt. Mehr aus alter Gewohn­heit als aus Sinn­haf­tig­keit flie­gen die Redak­teu­re der Hoch­glanz­pres­se vier Wochen lang um den Glo­bus, um sich in New York, Lon­don, Mai­land und Paris um einen Platz in der ers­ten Rei­he zu bemü­hen. Der wird Ihnen in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zuneh­mend von Ama­teu­ren strei­tig gemacht, die es aus für Pro­fis meist uner­find­li­chen Grün­den zu Mil­lio­nen-Reich­wei­ten im Inter­net gebracht haben – Ich-AGs, die Model, Foto­graf und Medi­um in Per­so­nal­uni­on sind und den Brands unter dem Strich eine kos­ten­güns­ti­ge­re und zugleich ver­meint­lich glaub­wür­di­ge­re Mar­ken­kom­mu­ni­ka­ti­on ermög­li­chen.

Die Fashion Weeks boten den Mar­ken einen Anlass und den phy­si­schen Rah­men zur Selbst­dar­stel­lung. Sie lie­ßen sie am Nim­bus von Mode­me­tro­po­len wie Paris und Mai­land teil­ha­ben. Und sie setz­ten – ganz pro­fan – die Ter­mi­ne im Kalen­der aller Betei­lig­ten. Der eli­tä­re Cha­rak­ter ist mit den Live Strea­mings auf­ge­weicht wor­den. „See now, buy now“ war der Ver­such, die Schau­en wie­der zu einer Ver­kaufs­ver­an­stal­tung zu machen. Das hat nicht funk­tio­niert. Dass Car­lo Capa­sa jetzt schon die grü­ne Kar­te zie­hen muss, zeigt womög­lich den Grad der Ver­zweif­lung: “Wenn man 50 Lauf­steg-Shows zusam­men zeigt, statt dass alle an ver­schie­de­nen Tagen an ver­schie­de­nen Orten ihre Show ver­an­stal­ten, bedeu­tet das, dass man den CO²-Fuß­ab­druck redu­ziert. Das ist logisch”, so der Prä­si­dent der Came­ra del­la Moda gegen­über Fashion­Net­work.

Die indus­tri­el­le Mode­pro­duk­ti­on ori­en­tiert sich schon lan­ge nicht mehr an den Schau­en­ter­mi­nen. Die­se ver­lie­ren auch für das Mode­mar­ke­ting an Bedeu­tung. Anläs­se, Inhal­te und Timing der Kam­pa­gnen ändern sich. Das Geschäft ver­langt nach Impul­sen, die der modi­sche Wan­del allein nicht mehr set­zen kann. An die Stel­le der am sai­so­na­len Wech­sel aus­ge­rich­te­ten Kam­pa­gnen tritt zuneh­mend eine akti­ons­ge­trie­be­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on. Des­halb pro­bie­ren sich so vie­le Brands an Co-ops und Drops-Kon­zep­ten. Oder sie laun­chen wie Dol­ce & Gab­ba­na eben einen Wein. Das hängt natür­lich mit dem über­sät­tig­ten Markt zusam­men, der zu krea­ti­ven Kaprio­len zwingt. Und mit der immer kom­ple­xe­ren Medi­en­land­schaft, die nur noch beson­de­re Wer­be­bot­schaf­ten durch­drin­gen lässt und bei der nicht mehr Maga­zi­ne Reich­wei­te brin­gen, son­dern Fans und Fol­lower bei Insta­gram und You­Tube.

Die Fashion Week in Mai­land oder Paris online zu ver­an­stal­ten, ergibt da wenig Sinn. War­um soll­ten sich die Brands auf gemein­sa­me Ter­mi­ne fest­le­gen las­sen, noch dazu, wo sich die kom­mu­ni­ka­ti­ven Bot­schaf­ten dann poten­zi­ell über­la­gern? Vie­le, ins­be­son­de­re die gro­ßen Mar­ken wer­den künf­tig ihren eige­nen Weg gehen. In Insta­gram ist ganz­jäh­rig Moden­schau mög­lich.

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