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Von der Wertschöpfungskette zum Wertschöpfungsring?

XEigent­lich wäh­nen wir uns ja in einer Bran­che, die von und mit schö­nen Din­gen lebt. Dass die glo­ba­le Mode­pro­duk­ti­on ihre Kehr­sei­ten hat, ver­drän­gen wir all­zu ger­ne. Dar­an haben auch ein­stür­zen­de Fabrik­bau­ten nichts ändern kön­nen. Die Nach­hal­tig­keits­dis­kus­si­on dreht sich meist um die Miss­stän­de in der Pro­duk­ti­on, und die ist halt in vie­ler­lei Hin­sicht weit weg. Wel­che dras­ti­schen Fol­gen der wach­sen­de Mode­kon­sum auch für unse­re Umwelt hat, zeigt der an die­sem Diens­tag von der Ellen Mac­Ar­thur Foun­da­ti­on vor­ge­stell­te Report „A new tex­ti­les eco­no­my: Rede­sig­ning fashion’s future“. Dass das Werk mit­ten im anlau­fen­den Weih­nachts­ge­schäft publi­ziert wird, ist aus Sicht des Ein­zel­han­dels natür­lich gemein. Denn es ist sehr geeig­net, uns ein schlech­tes Gewis­sen zu machen.

Dazu rei­chen allein die Fak­ten: Zwi­schen 2000 und 2015 hat sich die welt­wei­te Beklei­dungs­pro­duk­ti­on auf 100 Mil­li­ar­den Tei­le ver­dop­pelt. Das ist auf das rapi­de Bevöl­ke­rungs­wachs­tum und auf den wach­sen­den Wohl­stand in vie­len Län­dern zurück­zu­füh­ren. Und auf das Fast Fashion-Phä­no­men, das mit schnel­le­ren Kol­lek­ti­ons­wech­seln und nied­ri­ge­ren Prei­sen die Nach­fra­ge ange­kur­belt und eine Weg­werf­men­ta­li­tät geför­dert hat. Schät­zun­gen zufol­ge wer­de mehr als die Hälf­te der schnell pro­du­zier­ten Mode in weni­ger als einem Jahr wie­der ent­sorgt, so der Report. Die durch­schnitt­li­che Tra­ge­dau­er eines Klei­dungs­stücks habe in 15 Jah­ren glo­bal um über ein Drit­tel abge­nom­men (36%), in Chi­na sogar um 70%. 60% der Deut­schen geben an, dass sie mehr Klei­dung im Schrank haben als sie brau­chen (den übri­gen 40% ist das wahr­schein­lich pein­lich zuzu­ge­ben).

Jähr­lich wür­den Kla­mot­ten im Wert von 460 Mrd. Dol­lar weg­ge­wor­fen, so der Report. Ein Unding ange­sichts der Tast­sa­che, dass mit der Her­stel­lung von Beklei­dung eine erheb­li­che Umwelt­be­las­tung ein­her geht. Die Tex­til­in­dus­trie ver­braucht größ­ten­teils nicht erneu­er­ba­re Res­sour­cen und ver­wen­det schäd­li­che Mate­ria­li­en, dem Report zufol­ge ins­ge­samt 98 Mil­lio­nen Ton­nen pro Jahr: Öl zur Her­stel­lung von Syn­the­tik­fa­sern, Dün­ge­mit­tel für den Baum­wollan­bau, Che­mi­ka­li­en zur Her­stel­lung, Fär­bung und Aus­rüs­tung von Fasern und Tex­ti­li­en. Der Baum­wollan­bau ver­brau­che jähr­lich rund 93 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter Was­ser. Im Jahr 2015 belie­fen sich die Treib­haus­gas­emis­sio­nen aus der Tex­til­pro­duk­ti­on auf 1,2 Mil­li­ar­den Ton­nen – mehr als der glo­ba­le Flug­ver­kehr und die See­schiff­fahrt zusam­men. Wenn der Beklei­dungs­markt so wei­ter­wach­se wie erwar­tet, wer­de sich das Pro­duk­ti­ons­vo­lu­men bis 2050 von der­zeit 53 Mil­lio­nen auf 160 Mil­lio­nen Ton­nen mehr als ver­drei­fa­chen. Die Tex­til­in­dus­trie wäre dann für rund ein Vier­tel (26%) der bis dahin ver­ein­bar­ten glo­ba­len CO2-Belas­tung ver­ant­wort­lich.

Hof­fent­lich bekommt die Kanz­le­rin den Mac­Ar­thur-Report nicht in die Hand. Sonst beschließt sie nach dem Atom­aus­stieg nun auch noch den Tex­til­aus­stieg.

Der Report for­dert wenigs­tens den Umstieg. Die Lösungs­an­sät­ze lau­fen dar­auf hin­aus, aus der bis­he­ri­gen linea­ren Wert­schöp­fungs­ket­te ein Kreis­lauf­sys­tem, also eine Art Wert­schöp­fungs­ring zu machen. Zur­zeit wür­den gera­de mal 13% der Tex­ti­li­en indus­tri­ell wie­der­ver­wer­tet, bei Beklei­dung lie­ge die Recy­cling-Quo­te bei unter 1%. Wenn es gelän­ge, Klei­dung, Gewe­be und Fasern nach dem Gebrauch im gro­ßen Stil wie­der­zu­ver­wen­den statt sie wie bis­her als Abfall zu ent­sor­gen, könn­ten die nega­ti­ven Fol­gen für Umwelt, Gesell­schaft und Wirt­schaft ent­schie­den ver­rin­gert wer­den. Der Report zählt etli­che Maß­nah­men auf, wie dies zu errei­chen wäre. Da haben sich die Autoren in beein­dru­cken­der Wei­se in die Details des Mode­ge­schäfts ein­ge­ar­bei­tet. Unter dem Strich stel­len sie die Sys­tem­fra­ge und for­dern eine Trans­for­ma­ti­on die­ses gesam­ten Wirt­schafts­zwei­ges inklu­si­ve eines Men­ta­li­täts­wan­dels der Kon­su­men­ten. Zur Unter­stüt­zung des Über­gangs sei­en ver­schie­de­ne Maß­nah­men erfor­der­lich. Dar­un­ter: ein Dia­log­me­cha­nis­mus, der die gesam­te Wert­schöp­fungs­ket­te und bestehen­de Initia­ti­ven ein­be­zieht, Inno­va­tio­nen für Sys­tem­lö­sun­gen, eine infor­mier­te Poli­tik und neue Indus­trie­stan­dards und ‑leit­li­ni­en. Alles sei mit­ein­an­der ver­knüpft und ver­stär­ke sich gegen­sei­tig. „Der ange­streb­te gro­ße Sys­tem­wech­sel kann daher nur durch eine koor­di­nier­te Orches­trie­rung erreicht wer­den.“

Die Initia­ti­ve ist ver­nünf­tig, die Visi­on wün­schens­wert, die Schluss­fol­ge­run­gen logisch. Allein: Es wird so lei­der nicht pas­sie­ren. Das ver­hin­dern die unter­schied­li­chen Inter­es­sen der unzäh­li­gen betei­lig­ten Akteu­re. Wie schwer eine Abstim­mung inner­halb des bestehen­den Mode-Sys­tems ist, zeigt der Krampf um das Tex­til­bünd­nis. Ein kom­plet­ter Sys­tem­wech­sel ist voll­ends illu­so­risch. Das mag für auf­ge­klär­te Geis­ter eine öko­lo­gi­sche Not­wen­dig­keit sein, einem Tex­til­un­ter­neh­mer in Chi­na oder dem Fabrik­ar­bei­ter in Ban­gla­desch wird man einen Sys­tem­wech­sel schwer­lich schmack­haft machen kön­nen. Von den Fol­gen, die ein mit dem Umstieg ver­bun­de­ner Rück­bau von Kapa­zi­tä­ten für die Beschäf­tig­ten im Ein­zel­han­del hier­zu­lan­de mit­bräch­te mal gar nicht zu reden.

Die Digi­ta­li­sie­rung ist in die­sem Zusam­men­hang übri­gens Chan­ce und Gefahr zugleich. Auf der einen Sei­te heizt die Preis­trans­pa­renz im Web den Wett­be­werb wei­ter an. Der zuneh­men­de Kos­ten­druck bedeu­tet ten­den­zi­ell weni­ger Spiel­raum für sozia­le und öko­lo­gi­sche Stan­dards in der Sup­p­ly Chain. Die Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen durch den Ein­satz digi­ta­ler Tools mögen Ent­las­tung brin­gen; sie wer­den am Ende über den Preis an die Ver­brau­cher wei­ter­ge­ge­ben wer­den. Das alles ver­heißt nichts Gutes; Umwelt­schüt­zern und NGOs wird der Stoff  nicht aus­ge­hen. Auf der ande­ren Sei­te bringt das Inter­net Trans­pa­renz in die Sup­p­ly Chain und damit mehr Kon­troll­mög­lich­kei­ten; die Öffent­lich­keit zwingt die Unter­neh­men viel mehr als frü­her, Stan­dards ein­zu­hal­ten. Und schließ­lich ermög­licht das Inter­net neue Geschäfts­mo­del­le, die die Sha­ring Eco­no­my und den Second Hand-Han­del im gro­ßen Stil vor­an­brin­gen kön­nen. For­ma­te wie Bud­dy & Sel­ly und ande­re. Die nach­hal­tigs­te Beklei­dung ist tat­säch­lich die, die gar nicht mehr erst pro­du­ziert wer­den muss.

Statt in gro­ßen Run­den Ener­gie mit Sys­tem­dis­kus­sio­nen zu ver­schwen­den, soll­te jeder Ver­ant­wort­li­che erst­mal vor der eige­nen Haus­tür keh­ren. Und das machen die gro­ßen Unter­neh­men ja auch, und sei es auch nur aus Grün­den des Risi­ko­ma­nage­ments. Der Report der Ellen Mac­Ar­thur Foun­da­ti­on kann gleich­wohl das Pro­blem­be­wußt­sein schär­fen.

Zu den För­de­rern der Stif­tung zäh­len u.a. Nike und H&M. Es war ver­mut­lich Zufall, aber als wol­le man die Dring­lich­keit des The­mas unter­strei­chen, waren am sel­ben Tag als Ellen Mac­Ar­thur den Report gemein­sam mit Stel­la McCart­ney in Lon­don vor­ge­stellt hat, in den Zei­tun­gen Berich­te aus Schwe­den zu lesen: Dort hat Kraft­werks­be­trei­ber Mälar­ener­gi ange­kün­digt, bis zum Jahr 2020 kom­plett auf fos­si­le Ener­gie­trä­ger ver­zich­ten zu wol­len. Statt­des­sen ver­brennt er Abfall, dar­un­ter auch unver­käuf­li­che H&M‑Kleidung. Allein in die­sem Jahr waren es 15 Ton­nen, wie ein Mäl­ener­gi-Mana­ger gegen­über Bloom­berg-News bestä­tigt: „Für uns ist das ein­fach brenn­ba­res Mate­ri­al.“

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7 Antworten zu “Von der Wertschöpfungskette zum Wertschöpfungsring?

  1. Jeder weiß, daß bei die­ser Art der Pro­duk­ti­on irgend­je­mand den Preis zahlt.
    Gleich­zei­tig wer­den von der gesam­ten Pres­se( in an Spen­den inter­es­sier­ten Tier­recht­lern) die­je­ni­gen in die Höl­le ver­dammt , die tat­säch­lich Cir­cu­lar Fashion prdu­zie­ren- die Pelz­bran­che. Und zwar die, die tiers­ge­recht in Län­dern mit Tier­schutz­ge­setz pro­du­ziert, die Tie­re wer­den mit dem gefüt­tert, was die Men­schen nicht essen wol­len. Die Pelz­tei­le wer­den vor Ort in hand­werk­li­cher Tra­di­ti­on gefer­tigt und kön­nen im Lau­fe Ihres Lebens mehr­fach modisch ange­passt wer­den. Und wenn sie nach jahr­zehn­te­lan­gem Wär­men nicht mehr gebraucht wer­den, ver­rot­ten sie rück­stands­los in einen kur­zen Zeit­raum .

  2. Lie­ber Herr Mül­ler, ich tei­le die Dia­gno­se zu 100%. Was unse­re Bran­che gera­de aller­dings noch weit­ge­hend unter­be­wer­tet, sind die ZULÜNFTIGEN Mög­lich­kei­ten, das Pro­blem zu lösen. Wenn die Wert­schöp­fungs­ket­te so umge­baut wird, dass die Pro­duk­ti­on NACH der Kauf­ent­schei­dung fällt, wir also mass cus­to­mi­zed pro­du­zie­ren, ent­fällt ein ers­ter gro­ßer Teil des Was­tes, der nicht nur die Umwelt, son­dern auch Geschäfts­mo­del­le zer­stört (Abschrif­ten in Sales-Pha­sen!). Ent­schei­dend ist: es geht JETZT schon; die Mög­lich­kei­ten sind tech­no­lo­gisch da, man muss sie nur intel­li­gent ein­set­zen. Wenn die Pro­duk­ti­on nicht mehr aus Kos­ten­grün­den weit ent­fernt statt­fin­det, son­dern orts­nah, dann ent­fällt die damit ver­bun­de­ne Unwelt­ver­schmut­zung. Wie­der: das geht an vie­len Stel­len heu­te schon, auch betriebs­wirt­schaft­lich; wir müs­sen uns nur von den eta­blier­ten Lösun­gen tren­nen! Wenn künst­li­che Mate­ria­li­en mit bes­se­ren Eigen­schaf­ten als „natür­li­che“ (Baum­wol­le, Cash­me­re usw) ein­setz­bar wer­den, am bes­ten in 3D Druck, sind die damit ver­bun­de­nen Pro­ble­me lös­bar. Das ist zwar noch Zul­unfts­mu­sik, aber die dafür not­wen­di­gen Ent­wick­lun­gen fin­den bereits statt.
    Mein Kern­punkt ist: All die­se Ent­wick­lun­gen und noch vie­le mehr sind durch die Digi­ta­li­sie­rung mög­lich. Wir kön­nen und müs­sen die Wert­schöp­fungs­ket­te kom­plett neu desi­gnen und Ama­zon und nicht weni­ge Start­ups sind längst dabei, das zu tun. Mar­ken und Ein­zel­händ­ler, die nicht heu­te damit anfan­gen, ihr Modell dar­auf aus­zu­rich­ten, ver­spie­len die Zukunft dop­pelt (Busi­ness und Ver­ant­wor­tung für die Umwelt). Kon­su­men­ten wer­den ent­spre­chend ent­schei­den: sobald sie es kön­nen, weil es die Alter­na­ti­ve gibt. Jeder in der Bran­che hat die Chan­ce, die Ver­ant­wor­tung und die tech­no­lo­gi­sche Mög­lich­keit, zu denen zu gehö­ren, die die­se Lösun­gen schaf­fen. Man muss es jetzt tun, um eine Zukunft zu haben…

  3. Groß­ar­tig recher­chiert und for­mu­liert – wer ist denn da jetzt immer noch nicht alar­miert ???? make your thoughts

  4. Wie Rose Mar­ca­rio (Pata­go­nia) schon vor län­ge­rer Zeit gesagt hat, ist nicht KAUFEN an sich das Pro­blem, son­dern das schnel­le Weg­wer­fen und der man­geln­de Wil­len, Din­ge län­ger zu nut­zen und sie ggf. auch zu repa­rie­ren. Da braucht man kei­nen umfas­sen­den Sys­tem­wech­sel, da kann jeder für sich selbst Ent­schei­dun­gen tref­fen und mit wenig Auf­wand viel bewir­ken. Schon die Oma wuß­te: wer bil­lig kauft, kauft dop­pelt. Es lohnt halt nicht wirk­lich, einen bil­li­gen Fet­zen von P.….. oder H&.….. oder ähn­lich zum Schnei­der zu brin­gen, wenn eine Naht sich geöff­net hat. Han­del und Indus­trie bie­ten ja das an, was Kun­den kau­fen. Alle spre­chen von Ver­ant­wor­tung, nur bei den Kun­den (und das sind wir ja alle) ist die­se nicht sehr aus­ge­prägt.

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