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Mitleid für Modedesigner?

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Erst Alex­an­der Wang/Balenciaga, dann Raf Simons/Dior, jetzt Alber Elbaz/Lan­vin – bei den fran­zö­si­schen Cou­ture-Häu­sern scheint eine Art Göt­ter­däm­me­rung ange­bro­chen zu sein. Ins­be­son­de­re der Jam­mer nach Raf Simons’ Abschied von Dior war bemer­kens­wert. Nicht Dior wird bedau­ert, weil das Unter­neh­men einen erst­klas­si­gen und erfolg­rei­chen Macher ver­liert. Son­dern der Abgang wird zum Anlass für wei­ner­li­che Mit­leids­be­kun­dun­gen mit den Krea­ti­ven genom­men.

Die Kom­men­ta­to­ren bekla­gen uni­so­no, wie hart das Mode­busi­ness gewor­den sei. Dass die Mode­häu­ser mit ihrer schnel­len Tak­tung von Hau­te Cou­ture, Pret à por­ter, Crui­se- und Resort-Kol­lek­tio­nen immer mehr zu einer Art High End-Fast Fashion wer­den. Dass das Sys­tem die sen­si­blen Krea­ti­ven über­for­de­re. Da wird an die Alko­hol­ex­zes­se von Marc Jacobs und die Dro­gen­ge­ständ­nis­se von Cal­vin Klein erin­nert, an den Selbst­mord von Alex­an­der McQueen und natür­lich an die dro­gen­um­ne­bel­ten Aus­fäl­le von John Gal­lia­no. “Die Krea­ti­ven in den Mode­häu­sern sind wie Vögel im gol­de­nen Käfig”, schreibt Suzy Men­kes. “Sie haben alles – außer Zeit.” Die Desi­gner sei­en die­je­ni­gen, die am meis­ten unter der Beschleu­ni­gung der Mode lei­den. Aber ohne Krea­ti­ve gebe es kei­ne Mode, nichts Neu­es, nur als Inno­va­ti­on getarn­te Wie­der­ho­lung. Die Mode­welt soll­te Raf Simons des­halb dan­ken für sei­nen tap­fe­ren Schritt, meint Men­kes. “Dass er Dior erho­be­nen Haup­tes ver­las­sen hat. Dass er sein Leben zurück hat.”

Das ist alles nicht falsch. Und doch nur die hal­be Wahr­heit.

Krea­ti­ve mögen viel­fach fra­gi­le Cha­rak­te­re sein, und ihre Arbeit ist bestimmt nicht ein­fa­cher gewor­den. Die Top-Desi­gner von heu­te sind Style-Mana­ger, die das Bild einer Mar­ke prä­gen. Dafür müs­sen sie alles im Blick haben: die Pro­duk­te, die Wer­bung, die Läden, die Lizen­zen, die Medi­en­ar­beit und so wei­ter. “Wir Desi­gner haben mal als Cou­turiers ange­fan­gen, mit Träu­men, Wer­ten und Gefüh­len”, so Alber Elbaz ver­gan­ge­ne Woche bei einem Auf­tritt in New York. “Dann wur­den wir Krea­tiv-Direk­to­ren. Heu­te sind wir für das Image zustän­dig, dazu da, dass die Bil­der gut aus­se­hen. Sie müs­sen von den Bild­schir­men schrei­en.” “Mode ist Show-Busi­ness”, so Dior-Chef Sid­ney Toled­a­no kürz­lich sinn­ge­mäß in einem Inter­view. So weit, so bekannt.

Hedi Sli­ma­ne hat es neu­lich sehr gut auf den Punkt gebracht: “Desi­gner in der heu­ti­gen Mode­indus­trie haben einen Fuß im Stu­dio, den ande­ren im Laden und bei­de Augen auf die Bör­se gerich­tet.” Es gehe dabei um Kon­sis­tenz, so der Saint Lau­rent-Macher. “Es gibt kei­nen ande­ren Weg in einem glo­bal agie­ren­den Haus. Man hat kei­ne Wahl.”

Und weil das so ist, führt Lar­moy­anz nicht wei­ter.

Raf Simons selbst hat sich vor ein paar Mona­ten in einem Inter­view ent­spre­chend geäu­ßert: “Als Mode­de­si­gner muss man ein­se­hen, dass das, was man als frei erlebt oder ansieht, auch mit einem Sys­tem ver­bun­den ist. Heißt das, das man sei­ne Frei­heit auf­ge­ben muss? Ich weiß dar­auf noch immer kei­ne Ant­wort. (…) Wenn Künst­ler sich mit einem Sys­tem ver­bin­den, um davon leben zu kön­nen, ist es ihre eige­ne Wahl. Mode­de­si­gner haben die­se Wahl nicht.”

Karl Lager­feld hat es am klars­ten aus­ge­spro­chen: “Wenn man denkt, es ist zu viel, dann soll­te man die Fin­ger von sol­chen Ver­trä­gen las­sen. Ich kann die Desi­gner nicht aus­ste­hen, die erst das Geld neh­men und dann sagen, es sei zu viel Arbeit.”

Denn min­des­tens eben­so wie die Mar­ken pro­fi­tie­ren auch die Krea­ti­ven von der Zusam­men­ar­beit. Von den Resour­cen und Mög­lich­kei­ten der Kon­zer­ne, in finan­zi­el­ler Hin­sicht sowie­so, und auch was den per­sön­li­chen Bekannt­heits­grad und eige­nen Markt­wert angeht. Wäre Raf Simons heu­te so ein berühm­ter Desi­gner, wenn er vor zehn Jah­ren nicht Jil San­der über­nom­men hät­te? Zumin­dest wäre sein Weg an die Spit­ze nicht leich­ter gewe­sen. Dries van Noten wird ihm ein Lied davon sin­gen kön­nen, wenn sie sich dem­nächst in Ant­wer­pen zur Gar­ten­ar­beit tref­fen. Hät­ten wir jemals von Phoe­be Phi­lo oder Clai­re Waight Kel­ler gehört, wenn Chloé und Céli­ne ihnen nicht die Büh­ne gege­ben hät­ten? Die wenigs­ten sind wie Stel­la McCart­ney und Vic­to­ria Beck­ham mit einem berühm­ten Namen in das Geschäft ein­ge­stie­gen. Wer kann­te Tomas Mai­er, als er sei­ne Bade­mo­den­kol­lek­ti­on in Miami und noch nicht Bot­te­ga Vene­ta mach­te? Tom Ford pro­fi­tiert bis heu­te von sei­nem Guc­ci-Ruhm. Selbst Karl Lager­feld wur­de erst durch sei­ne jahr­zehn­te­lan­ge Arbeit für Cha­nel und Fen­di zu Karl Lager­feld.

Har­ry S. Tru­man wird das Zitat zuge­schrie­ben: “If you can’t stand the heat, get out of the kit­chen.” Raf Simons ist raus aus der Küche. Er will lie­ber sein eige­nes Süpp­chen kochen. Im Hau­se Dior über­nimmt dem­nächst ein neu­er Ster­ne­koch. Womög­lich einer, für  den Essen augen­schein­lich eine zwei­te Lei­den­schaft ist.

Bit­te lesen Sie dazu auch: Fir­ma, die “Mode­haupt­stadt” und das Zerr­bild vom Mode­de­si­gner

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